Interne Dokumente wecken Zweifel an ergebnisoffener Akw-Prüfung

Dem von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) vorgelegten "Prüfvermerk" zur Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke ging offenbar keine ergebnisoffene Untersuchung voraus.

Diesen Schluss legt der regierungsinterne Schriftwechsel zur Frage des Weiterbetriebs der Atomkraftwerke im Frühjahr und Sommer nahe, über den die „Welt am Sonntag“ und das Magazin „Cicero“ berichten. Auch stand die Ablehnung einer Laufzeitverlängerung offenbar im Widerspruch zur Einschätzung der Fachebene des Bundeswirtschaftsministeriums.

Demnach hatte die Arbeitsgruppe S I 2 („Nationale Angelegenheiten der nuklearen Sicherheit“) im Umweltministerium bereits am 1. März einen ersten „Vermerk“ über die rechtlichen und technischen Hürden einer Laufzeitverlängerung erstellt. Drei Tage darauf, am 4. März, lag den Staatssekretären im Wirtschafts- und Umweltministerium der fünfseitige Entwurf eines umfassenden Argumentationspapiers vor, das die Ablehnung einer Laufzeitverlängerung begründete. Dieses bereits mit „Prüfung“ überschriebene Papier nahm in Gliederung, Argumentationslinie und Fazit den „Prüfvermerk“ weitgehend vorweg, mit dem Habeck und Lemke am 8. März ihre Ablehnung einer Laufzeitverlängerung öffentlich machten. Zum Zeitpunkt der Formulierung dieses Entwurfs hatte jedoch ein Gespräch mit den Betreibern der Atomkraftwerke noch nicht stattgefunden: Diese Videoschalte soll aber erst für den 5. März terminiert gewesen sein, berichtet die Zeitung.

Auch eine schriftliche Stellungnahme des für die Sicherheit der Energieversorgung zuständigen Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, traf laut Datensatz erst am 9. März ein, also mehrere Tage nach Ende der ministeriellen „Prüfung“. Aus einer am 8. Juli an das Bundesumweltministerium übermittelten Einschätzung geht überdies hervor, dass die Fachebene des Bundeswirtschaftsministeriums einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke für richtig hielt. Neben der Gaseinsparung habe der Weiterbetrieb der AKW „zwei weitere Vorteile“, heißt es in der E-Mail der Fachebene: „Die Strompreise sinken und der Netzbetrieb wird sicherer.“ Um sich gegen einen anzunehmenden „Worst-Case“ zu schützen, sei der Weiterbetrieb der AKW „eine offensichtliche Vorsorgemaßnahme“.

Die Fachebene des Bundeswirtschaftsministeriums warnte auch vor der öffentlichen Behauptung, der Weiterbetrieb der AKW würde kaum Gas einsparen. Denn dies würde auch den Sinn des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes (EKBG) infrage stellen, mit dem die Bundesregierung die Reaktivierung von Kohle- und Ölkraftwerken vorbereitet hatte. „Während wir das EKBG in den höchsten Tönen loben und uns vom Weiterbetrieb von Kohle- und Öl- Kondensationsanlagen eine riesige Gaseinsparung erhoffen, sprechen wir dem Weiterbetrieb von AKW-Kondensationsanlagen diese Eigenschaft ab“, warnte der Fachbeamte des Habeck-Ministeriums in der internen „Einschätzung“ wörtlich: „Ich muss dem BMWK in dieser Debatte leider eine gewisse Schizophrenie attestieren.“ In einer Recherche-Kooperation mit dem Magazin „Cicero“ hatte die „Welt am Sonntag“ 166 regierungsinterne Dokumente ausgewertet, die das Bundesumweltministerium nach einer Anfrage auf Grundlage des Umweltinformationsgesetzes (UIG) zur Verfügung gestellt hatte.

Einem identischen Antrag zur Herausgabe von Informationen kam das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Missachtung der gesetzlich vorgegebenen Abgabefrist von maximal zwei Monaten bislang nicht nach.




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