„Die Ukraine kann 2030 zur EU gehören, wenn beide Seiten ihre Hausaufgaben machen“, sagte Michel dem „Spiegel“. Von der EU verlangte Michel unter anderem die Beschleunigung der „Entscheidungsprozesse“.
Mit der zügigen Aufnahme der Ukraine würde die EU auch „beweisen, dass sie geopolitisch handlungsfähig ist“, so Michel. Zugleich betonte der Belgier, dass es weder für die Ukraine noch für die EU-Beitrittskandidaten – neben der Türkei sind dies die sechs Westbalkanstaaten und die Republik Moldau – politischen Rabatt geben wird. „Die Ukraine und die anderen Beitrittskandidaten müssen Reformen umsetzen, Korruption bekämpfen und die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen“, sagte Michel. Dennoch dürfe die EU jetzt „keine Zeit mehr vertrödeln“, da etwa auf dem Westbalkan der Einfluss Russlands und Chinas immer größer werde.
Die EU-Staats- und Regierungschefs treffen sich am Donnerstag im spanischen Granada im Rahmen der Europäischen Politischen Gemeinschaft unter anderem mit Vertretern der Ukraine und der Westbalkanstaaten. Am Freitag beraten sie über den Wunsch der Ukraine, bis Jahresende mit den EU-Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Michel übte auch Kritik an der EU-Kommission, mit deren Präsidentin Ursula von der Leyen er in der Vergangenheit bereits mehrfach in Konflikte geraten war. So hat von der Leyen die jüngste Migrationsvereinbarung mit Tunesien gemeinsam mit den Niederlanden und Italien auf den Weg gebracht, den Rat der EU allerdings nicht befasst – was unter den anderen Mitgliedsländern für Verstimmung sorgte.
„Ich verstehe die Frustration der Mitgliedstaaten“, sagte Michel. „Die EU beruht auf Verträgen, und es wäre klug, sich an sie zu halten.“ Nur so sei ein „klares Mandat“ sichergestellt – „und dass diejenigen eingebunden sind, die am Ende entscheiden sollten, nämlich die Mitgliedsländer“. Auch die Entscheidung der Kommission vom Juni 2022, Erdgas und Erdölprodukte aus Russland ins Visier zu nehmen, kritisierte Michel.
„Für einige Mitgliedsländer wäre es eine Katastrophe gewesen, dem über Nacht und ohne sofort verfügbare Alternativen zu folgen“, sagte der Ratspräsident. „Im Europäischen Rat verbrachten wir dann Stunden damit, den Vorschlag der Kommission zu verbessern, obwohl das nicht der Job der Staats- und Regierungschefs ist.“ Der Rat und er als dessen Präsident spielten eine „prominente außenpolitische Rolle“, sagte Michel. Natürlich habe auch die Kommission „einige außenpolitische Aufgaben“.
Ihre eigentliche Aufgabe aber sei es, die von den Staats- und Regierungschefs beschlossene strategische Ausrichtung umzusetzen. „Da hakt es leider manchmal“, so Michel.