Die Ampelkoalition scheitert womöglich mit dem Versuch, den vollständigen Ausstieg aus der Kohleverstromung auf 2030 vorzuziehen. Zumindest als Reserve werden Kohlekraftwerke auch nach diesem Datum „systemrelevant“ und damit unverzichtbar sein, wie die Bundesnetzagentur (BNetzA) der „Welt“ (Freitagausgabe) auf Nachfrage mitteilte. Die Bundesbehörde untersagte es jetzt mehreren Betreibern von Kohlekraftwerken, ihre Anlagen vor April 2031 stillzulegen.
Die Behörde, die zum Amtsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) unter Leitung von Robert Habeck (Grüne) gehört, gab mit ihrer Entscheidung den Anträgen mehrere Stromnetzbetreiber statt. Die Anlagen seien auch nach 2030 noch „systemrelevant“ und dürften daher nicht stillgelegt werden. „Die Anlagen werden für die Netzstabilität benötigt“, sagte ein Sprecher der Bundesnetzagentur. „Sie werden nur selten laufen und deswegen keine spürbaren Auswirkungen auf unsere CO2-Bilanz haben.“ Er erklärte, dass die Anlagen nur als Reserve auf Abruf durch Netzbetreiber fungieren sollen. „Es ist weiter beabsichtigt, dass nach 2030 kein Kohlekraftwerk mehr am Markt tätig ist.“ Der Übertragungsnetzbetreiber in Baden-Württemberg verwies auf die Notwendigkeit einer langfristigen Betriebsgenehmigung. „TransnetBW verlängert gerade auf Basis von Langfristanalysen der vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland einige Reservekraftwerke – zunächst bis März 2031“, erklärte eine Sprecherin. „Dies ist erforderlich, um die Systemstabilität heute und auch in den kommenden Jahren zu gewährleisten.“ Ziel von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war es bislang, bis 2030 den Bau von rund 40 großen, wasserstofffähigen Gaskraftwerken anzureizen. Diese Anlagen sollten den Wegfall von Kohle- und Atomkraftwerken kompensieren und die Schwankungen des Solar- und Windstroms ausgleichen, der von Wetter, Tageszeit und Saison abhängig ist. Offenbar rechnen Netzbetreiber und Bundesnetzagentur jetzt nicht mehr sicher damit, dass bis 2030 ausreichend Gaskraftwerke zur Verfügung stehen.
Das Verbot der Stilllegung trifft unter anderem die Blöcke B und C des Steinkohle-Kraftwerks Scholven bei Gelsenkirchen. Für den Betreiber Uniper ist das Verbot misslich: Das kürzlich verstaatlichte Unternehmen wollte eigentlich bis 2029 aus der Kohleverstromung aussteigen. Auch das Großkraftwerk Mannheim darf seinen Block 8 nicht wie gewünscht abschalten. Betroffen ist auch EnBW am Standort Altbach.
Die Bundesnetzagentur hat bislang die Stilllegung von insgesamt 26 Kraftwerksblöcken untersagt, um die Netzstabilität nicht zu gefährden. Üblicherweise müssen diese Kraftwerke für zwei Jahre als Reserve vorgehalten werden, dann wird erneut geprüft, ob eine Stilllegung erfolgen darf. Mit dem Stilllegungsverbot gleich bis 2031 weicht die Bundesnetzagentur erstmals von diesem Rhythmus ab, weil Kraftwerksbetreiber wegen der kurzen Genehmigungszeiträume zunehmend Probleme mit der Personalplanung hatten und auch die Standorte der Kraftwerke nicht weiterentwickeln konnten.