In den Jahren 2022 und 2023 wurden in Deutschland mindestens 26 Menschen Opfer von versuchten oder vollendeten sogenannten „Ehrenmorden“. Dies geht aus einer Untersuchung von Terre des Femmes vor, über die die „Welt am Sonntag“ berichtet.
Die Frauenrechtsorganisation wertet darin Presseberichte über Urteile oder laufende Verfahren zu solchen Verbrechen aus. Demnach gab es in diesem Zeitraum zwölf Todesopfer von Gewalt im Namen der „Ehre“, davon zehn Frauen. Hinzukommen weitere 14 Opfer versuchter Morde, darunter neun Frauen. Die vermeintliche „Ehrverletzung“ bestand in diesen Fällen in einem Verhalten, das gegen auferlegte Verhaltensnormen zur weiblichen Sexualität und sozialen Stellung der Frau verstößt. Den Frauen wird das Recht auf eine freie Lebensgestaltung abgesprochen. Laut Terre des Femmes handelt es sich bei den männlichen Opfern etwa um neue, „nicht legitime“ Partner oder Väter unehelicher Kinder.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte der „Welt am Sonntag“: „Ehrenmorde sind der abscheulichste Ausdruck geschlechtsspezifischer Gewalt. Ihnen liegt ein irriges Verständnis von Ehre zugrunde, zumeist gepaart mit dem reaktionären Verständnis eines Besitzanspruches des Mannes über seine Frau oder Tochter.“ Der Minister verwies auf die kürzliche Änderung im Strafgesetzbuch, mit der bekräftigt werde, dass „geschlechtsspezifische“ Motive bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien. „Kein Mensch darf sich anmaßen, über das Leben einer anderen Frau zu bestimmen – und schon gar nicht, sie aus vermeintlichen Ehrmotiven zu töten“, so Buschmann weiter.
Buschmanns für Familien- und Frauenpolitik zuständige Kabinettskollegin Lisa Paus (Grüne) sagte: „Die sogenannten Ehrenmorde sind in der überwiegenden Zahl Femizide. Die Opfer sind meist, aber nicht nur, Frauen. Femizide heißt, dass Frauen oder Mädchen durch geschlechtsbezogene Gewalt getötet werden. Dahinter stehen patriarchale Strukturen und Denkweisen. Diese schrecklichen Taten müssen wir konsequent bekämpfen und verfolgen.“
Die Vize-Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion, Andrea Lindholz, sagte: „Es ist unerträglich, dass mitten in Deutschland sogenannte Ehrenmorde stattfinden. Die kulturellen und religiösen Zusammenhänge müssen klar benannt werden, um insbesondere die Frauen besser zu schützen.“ Bezeichnungen wie „Femizide“ verschleiern nach Ansicht der CSU-Politikerin „die wahren Beweggründe für diese furchtbaren Taten, da auch Männer Opfer werden“.
Myria Böhmecke, Referatsleiterin Gewalt im Namen der Ehre bei Terre des Femmes, sagte: „Die tödlichen Delikte, die an die Öffentlichkeit kommen, stellen nur einen kleinen Teil dieses Gewaltphänomens dar. Bei dem Großteil der Fälle ist außerdem von vorausgegangener, jahrelanger Gewalt zu lesen, von der man ausgehen kann, dass sie noch viel häufiger im Verborgenen stattfindet.“ Es brauche die Möglichkeit für Betroffene, bei einer akuten Gefahr in eine Art „Zeugenschutzprogramm“ aufgenommen zu werden.