Baum sieht Freiheit in Deutschland gefährdet „wie lange nicht“

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sieht zum 75-jährigen Jubiläum der Bundesrepublik die Freiheit bedroht.

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sieht zum 75-jährigen Jubiläum der Bundesrepublik die Freiheit bedroht. „Unsere Demokratie ist stabil, aber die Freiheit ist gefährdet wie lange nicht – nicht nur durch die AfD“, sagte Baum in einem gemeinsamen „Spiegel“-Gespräch mit der Influencerin Lilly Blaudszun (SPD).

In der Mitte der Bevölkerung nehme „die Verachtung unseres demokratischen Systems zu“, warnte Baum. „Anders als in der Weimarer Zeit kommt die Bedrohung nicht mit einem Ermächtigungsgesetz, sie schleicht sich ein.“ Die Gleichgültigkeit in der Gesellschaft sei brutal gefährlich, so Baum. „Es ist falsch, wenn Olaf Scholz sagt: Die AfD-Wähler haben doch nur schlechte Laune. Nein, es geht sehr viel tiefer. Das Abwenden von der Freiheit, die Arroganz, sich für den Mittelpunkt der Welt zu halten, die rassistische Ausgrenzung von Menschen, die zu uns gekommen sind: All das steckt noch in Teilen der Deutschen – auch heute.“

Die Sozialdemokratin Blaudszun sprach von Alltagserfahrungen: „Bekannte erzählen, dass sich Mitschüler mit dem Hitlergruß begrüßen oder einem Mitschüler den Spitznamen `Goebbels` geben, aus Spaß. Das sind 14-Jährige, für die es vielleicht witzig ist. Aber auch die müssen raffen, dass das kein Spaß ist.“

Viele Politiker hätten verlernt, auf die Gefühle der Wähler einzugehen, sagte Baum. „Allein mit technokratischen Diskussionen erreicht man die Menschen nicht. Sie haben Zukunftsängste, fühlen sich unsicher, und diese Unsicherheit wird durch schlechtes Regieren noch verstärkt.“ Von den Politikern zu den Bürgern müsse es einen „Wärmestrom“ geben, fordert Baum.

Das müsse von beiden Seiten ausgehen, sagte Blaudszun. „Es braucht diesen Wärmestrom, zugleich müssen mehr Menschen ihre Rolle als Bürger in der Demokratie wahrnehmen. Viele haben es sich zu bequem gemacht.“

Weder Baum noch Blaudszun halten das Grundgesetz für grundlegend erneuerungsbedürftig. „Das Grundgesetz wird ununterbrochen weiterentwickelt und an neue Lebenssituationen angepasst – durch das Bundesverfassungsgericht“, sagte Baum. „Es ist etwas Besonderes, dass wir eine Verfassung haben, die alles vom Menschen her denkt“, sagte Blaudszun. „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, wäre es die Stärkung sozialer Rechte wie die Verankerung des Rechts auf Wohnen als originäres Leistungsgrundrecht.“




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