Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union wollen bei einem Treffen der Außen- und Verteidigungsminister in der kommenden Woche in Brüssel erstmals seit Beginn des Krieges über die Entsendung von EU-Soldaten in die Ukraine beraten. Das berichtet die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf hohe informierte Brüsseler Diplomatenkreise.
Ukraines Verteidigungsminister Rustem Umerov hatte zuvor in einem bisher nicht veröffentlichten Schreiben an den EU-Chefdiplomaten Josep Borrell vom 31. Mai dieses Jahres gefordert, ukrainische Soldaten im Rahmen der seit November 2022 bestehenden EU-Ausbildungsmission Ukraine (EUMAM UKR) – sie findet bisher ausschließlich auf dem Gebiet der Europäischen Union und dabei vor allem in Deutschland und Polen statt – künftig auch vor Ort auszubilden.
Grundlage der Beratungen der zuständigen Botschafter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) am Dienstag und anschließend der EU-Außen- und Verteidigungsminister wird ein vertrauliches Dokument des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), der unter der Leitung von EU-Chefdiplomat Josep Borrell steht, sein. Das Dokument hat den Titel „Strategische Überarbeitung der EU-Ausbildungsmission Ukraine“, schreibt die „Welt am Sonntag“.
In dem Dokument heißt es, Kiew rechne infolge der Mobilisierung von Soldaten seit dem Monat Mai mit bis zu 150.000 neuen Wehrpflichtigen, womit zehn neue Infanterie-Brigaden aufgestellt und bisherige Einheiten aufgestockt werden sollten. „Der strukturelle Nachteil der Ukraine im Vergleich zu Russland mit Hinblick auf den Personalbestand macht Training und Ausrüstung von hoher Qualität sehr wichtig für die militärische Antwort der Ukraine“, heißt es in dem Dokument.
Der EAD gibt in dem vertraulichen Dokument keine konkrete Empfehlung ab, ob die EU künftig ukrainische Soldaten im Land ausbilden soll oder nicht. Er weist aber, teilweise in Anlehnung an die Rückmeldung ukrainischer Militärkreise, ausführlich auf Defizite der bisherigen Trainingsmission hin und betont die Vorteile einer Ausbildung in der Ukraine.
Gleichzeitig analysiert der diplomatische Dienst der EU aber auch die Risiken. Konkret kritisiert der EAD beispielweise den mangelnden Realitätsbezug der Ausbildung ukrainischer Soldaten auf EU-Gebiet, die sich weitgehend an westlichen Standards in Friedenszeiten orientieren würde. Die ukrainischen Soldaten müssten darum nach ihrer Rückkehr zuhause häufig erneut trainiert werden („train as you fight“-training), heißt es in der Analyse des EAD. Zudem wären die ukrainischen Soldaten unter den aktuellen Trainingsbedingungen zu lange von zuhause abwesend und könnten darum bei Bedarf im Kampfgeschehen nicht schnell genug eingesetzt werden. Außerdem würden die ukrainischen Soldaten zu wenige Kenntnisse der von der Ukraine zumeist verwendeten sowjetischen Waffentypen haben.
„Es ist zwingend, die ukrainischen Soldaten mit den gleichen Waffen auszubilden, die sie später auch im Kampf nutzen werden“, heißt es in dem EAD-Dokument. Insgesamt stellt die Borrell-Behörde fest: „Der Graben zwischen den Trainingsbedingungen und der Realität auf dem Schlachtfeld muss weitestmöglich reduziert werden.“ Laut EAD könnte „die Entsendung (von EU-Soldaten; Anm. d. Red.) begrenzt werden auf Ausbilder, die sich in ukrainischen Ausbildungszentren aufhalten, weit weg vom Schlachtfeld“.
Denkbar sind laut Dokument Ausbildungszentren in der nordwestlichen Ukraine, wo bisher weniger Kämpfe stattgefunden hätten. Außerdem, so heißt es weiter in dem Dokument, könnte auch stärker in den unmittelbaren Nachbarländern der Ukraine ausgebildet werden („external hubs“). Bei einer Ausbildung auf ukrainischem Gebiet ist die allgemeine Bedrohungslage für die EU-Soldaten laut EAD-Dokument allerdings „kritisch“. „Die Tatsache, dass Russland jeden Punkt der Ukraine mit ballistischen Raketen und Drohnen erreichen kann, würde zum höchsten Bedrohungslevel für das militärische Personal der EU führen“, analysiert der diplomatische Dienst der EU. Die EU-Soldaten „könnten von Russland als aktiv Beteiligte an dem Konflikt gesehen werden und darum unvorhersehbare kinetische Reaktionen auslösen“. Dazu gehörten beispielsweise der Beschuss mit Drohnen und Raketen aus dem Asowschen Meer, Russland und Belarus, aber auch die Explosion von Granaten, Sabotage und Cyber-Angriffe. Es müsste in jedem Fall „robuste Evakuierungspläne“ für die EU-Soldaten geben.
Wie die „Welt am Sonntag“ weiter berichtet, macht sich vor allem die Regierung in Paris für eine Ausweitung der EU-Ausbildungsmission auf ukrainischen Boden stark. Dagegen hat sich die deutsche Bundesregierung in informellen Gesprächen bisher skeptisch gezeigt und hat dabei Sicherheitsbedenken und die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges geltend gemacht. Während der EAD in dem Dokument keine explizite Empfehlung für die Ausbildung von ukrainischen Soldaten vor Ort ausspricht, befürwortet er aber ausdrücklich eine Verlängerung der Ausbildungsmission (EUMAM UA) bis zum 15. November 2026. Außerdem soll die EU im Rahmen ihrer Ausbildungsmission Kiew bei der Reform des Sicherheitssektors und bei der Reform des Beschaffungswesens beraten. Drittens empfiehlt die Borrell-behörde schließlich im Rahmen der Ausbildungsmission die Einrichtung einer Koordinierungszelle (EUMAM Forward Coordination and Liaison Cell -FCLC) in Kiew, wo alle Informationen über die Ausbildungsaktivitäten zwischen EU und Ukraine zusammenlaufen sollten.
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