Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), beklagt eine Diskurshoheit städtischer Eliten und sieht Deutschland als eine „Klassengesellschaft“ auf Kosten von Ostdeutschen und Migranten. „In Deutschland bestimmen eher städtische Eliten die öffentlichen Debatten. Sie entscheiden, was in Fernsehen, Rundfunk, Online oder in den Zeitungen berichtet wird, und was nicht“, sagte er dem „Tagesspiegel“.
„Viele Städter, eher Akademiker und ökologisch bewegt, tragen ihren Lebensstil als Ideal vor sich her“, so Schneider. Dabei sei „der CO2-Fußabdruck der urbanen Eliten viel größer als der von Menschen etwa in Schneeberg im Erzgebirge“, sagte der SPD-Politiker. „Die fliegen oft nur alle fünf Jahre nach Bulgarien oder fahren mit einem alten Auto an die Ostsee. Sie haben bisher diese Bevormundung hingenommen. Seit sie aber durch politische Entscheidungen ihren Lebensstil bedroht sehen, wehren sie sich.“
Beim beruflichen Aufstieg seien in Deutschland „Vitamin B, also die richtigen Beziehungen, und die Fähigkeit, das Alphabet ohne Akzent aufzusagen enorm wichtig“, beklagte der SPD-Politiker: „Bei der Rekrutierung suchen Chefs neue Mitarbeiter zu oft nach Ähnlichkeit aus“, nach Bewerbern, die an der gleichen Uni gewesen seien, oder die das gleiche Hobby pflegten. „Und meistens sind sie westdeutsch. Deshalb fehlen ostdeutsche Aufsteiger, aber es gibt auch wenig Migranten, die Karriere machen. Deutschland ist eine Klassengesellschaft, damit verschenkt sich das Land große Chancen.“
Schneider sprach von einem „tiefen Graben zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung“. In Deutschland herrsche Meinungsfreiheit, „aber die Menschen haben das Gefühl, dass ein bestimmtes Meinungsklima die Debatten bestimmt und ihre Meinung nicht vorkommt. Das sorgt für Frust.“
Als im ZDF-„Heute Journal“ mit dem Gendern begonnen worden sei, habe er, sagte Schneider, gewusst: „Jetzt bekommen wir ein Problem mit unserer Bevölkerung. Die Menschen, zumal wenn sie älter als 60 Jahre sind, wollen alles, aber keine Sprecherziehung. Sie sind seit der DDR-Zeit sehr sprachsensibel.“
Er kenne kaum jemanden, der die DDR zurückhaben wolle, seit den 2010er Jahren aber erlebe man, wie sich eine „ostdeutsche Identität“ bilde. „Weil die Anpassung und Nachahmung des Westens nicht zur Anerkennung geführt hat und weil von außen stets auf `den Osten` gezeigt wurde“, sagte Schneider. Jetzt zeige sich: „Die 35 Jahre nach Mauerfall waren für die Menschen teilweise prägender als die 40 Jahre DDR davor.“
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