„Ich gehe nicht davon aus, dass sich das politische System und die politische Führung in Russland bis zum Ende dieses Jahrzehnts substanziell verändern werden. Wir werden damit leben müssen, dass unser Verhältnis zu Russland gestört bleibt, weil das wichtigste Kapital fehlt: Vertrauen“, sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) der „Welt“ unmittelbar vor dem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel.
Der Westen, die Ukraine eingeschlossen, werde sich künftig nicht darauf verlassen können, dass sich Russland an unterschriebene Verträge halten wird. „Russland wird für sehr viele Jahre eine Bedrohung bleiben. Die Ukraine braucht darum westliche Sicherheitsgarantien“, erklärte der Minister. Trotz des Ukraine-Kriegs und umfangreicher Sanktionen gegen Russland unterhalte Österreichs Regierung informelle Kanäle nach Moskau, sagte Schallenberg weiter. Das sei auch wichtig. „Der Westen muss weiterhin mit Russland sprechen, das tut auch die US-Administration. Wir tragen eine globale Verantwortung. Russland ist nicht von der Landkarte verschwunden.“
Russland sei der größte geografische Nachbar der EU und die größte Nuklearmacht auf diesem Planeten. Moskau sitze in zahlreichen internationalen Organisationen mit am Tisch und sei beispielweise ein wichtiger Akteur bei der Durchsetzung der weltweiten Klima- und Umweltziele. Schallenberg: „Wir müssen klare Kante zeigen bei der Verfolgung von russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine und bei der Rechenschaftspflicht der politischen Führung für Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Aber der Westen muss auch weiterhin mit Russland sprechen und sollte die internationalen Foren, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Vereinten Nationen (UNO), nutzen, um unsere Standpunkte im direkten Austausch unverblümt klarzumachen.“
Mit Blick auf den Westbalkan – ein Thema das beim Treffen der EU-Außenminister eine wichtige Rolle spielen wird, weil auch die jeweiligen Außenminister der sechs Länder anwesend sein werden – kündigte Schallenberg die Gründung einer neuen Gruppe von Staaten an, die helfen soll, den Beitritt der Länder in die EU zu beschleunigen: „Es wäre ein fatales Zeichen, wenn die Ukraine und Moldau auf der Überholspur vorbeifahren und die Staaten des Westbalkans auf dem Pannenstreifen stehen bleiben“, betonte Österreichs Chefdiplomat. Das könnte die Stabilität auf dem Westbalkan gefährden und den Einfluss von China, Russland, der Türkei oder anderer Akteure noch weiter stärken. „Österreich hat darum innerhalb der EU eine Gruppe der Freunde des Westbalkans initiiert. Dazu wird eine Reihe von Staaten wie beispielsweise Italien, Tschechien, Slowenien oder die Slowakei gehören. Ein erstes Treffen könnte schon im Sommer in Österreich stattfinden.“
Es sei wichtig, so der Minister weiter, dass künftig die Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen im Fall der Ukraine und Moldau einerseits und der sechs Westbalkan-Staaten andererseits gleich bewertet werden. „Es darf keine Zweiklassen-Gesellschaft geben. Wir haben den Ländern in Südosteuropa vor 20 Jahren in Thessaloniki einen Beitritt versprochen.“