Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hält die Wutrede von Olaf Scholz (SPD) anlässlich des Kollapses seiner Regierung für „kein Paradebeispiel für Würde“.
„Der Bundeskanzler führt das Verfassungsorgan Bundesregierung an. Sein Amt hat eine Würde, und die sollte einen stets leiten“, sagte Merkel dem „Spiegel“. Auch sie selbst hätte im Amt „harte Bandagen“ zu spüren bekommen und hält es für „unmenschlich, darauf immer nur nüchtern und ausgewogen zu reagieren“. Trotzdem müssten Bundeskanzler solche Krisen mit sich selbst ausmachen. „Man verspürt eine Menge Emotionen, aber besser ist, man schreit die Wand in seinem Büro an als die deutsche Öffentlichkeit“, sagte Merkel.
„Ich konnte mich als Kanzlerin auch nicht tagelang in meinem Gemütszustand aufhalten, sondern musste die Wut hinter mir lassen und schauen, dass ich vorankomme. „Das Lob seiner Anhänger für den Klartext-Auftritt von Scholz kann Merkel zwar nachvollziehen. „Klar, vor allem die eigenen Truppen finden es immer toll, wenn man aus sich rausgeht und klare Kante zeigt. Aber so ein Effekt hält meist nicht lange, und das beobachte ich auch hier.“
Merkel beobachtete nach Scholz` Auftritt „auch ein bisschen Unwohlsein im Publikum. Manche dachten: Wenn unser Bundeskanzler so außer Rand und Band ist – oh Gott, oh Gott – wie schlecht steht es dann um unser Land“.
Die FDP habe sie „nie als einfachen Koalitionspartner erlebt“, sagte Merkel dem „Spiegel“. „Aber sie existiert, und Politik beginnt eben mit dem Betrachten der Realität.“ Sie hält es nicht für ausgeschlossen, dass ein Jamaika-Bündnis, wie sie es 2017 mit Grünen und Liberalen schmieden wollte, funktioniert hätte: „Man kann doch vorher nie sagen, wie Koalitionen funktionieren. Jamaika wäre sehr viel Arbeit gewesen, und ich hätte viel mehr Zeit für die verschiedenen Partner aufwenden müssen. Aber die Frage hat sich ja nicht gestellt, weil Herr Lindner nicht wollte.“
Als junge Politikerin litt Merkel unter den Angriffen und Gehässigkeiten gegen sich als Frau. „Am Anfang meiner politischen Arbeit war ich oft sehr verstört, wie ich angefeindet wurde“, sagte sie dem „Spiegel“. Aber sie sei „rückblickend sehr dankbar dafür, dass man mich damals nicht in meinem Selbstmitleid bestärkt hat“.
In der Politik sei zu große Empfindlichkeit ein Nachteil, findet die langjährige Kanzlerin: „Politik ist nicht das richtige Betätigungsfeld für Leute, die in Mitleid versinken. Überhaupt glaube ich, wenn man Karriere machen möchte, darf man nicht zu feinfühlig sein.“
Die erste Frau im Amt der Regierungschefin sagte, sie habe sich „nicht groß Gedanken gemacht, dass mit mir als Frau eine tolle Symbolik verbunden wäre. Ich war manchmal auch enttäuscht von Frauen. Dass wir untereinander immer solidarisch sind, ist nicht meine Erfahrung“.
Ob Friedrich Merz als Kanzler geeignet sei, wollte Merkel nicht beantworten. „Er muss jetzt einen Wahlkampf führen, in dem er das beweisen kann.“ Aber wer es zum Kandidaten für das Kanzleramt schaffe, „muss über irgendwelche Eigenschaften verfügen, die ihn dazu befähigen“.
In Merkels Autobiografie „Freiheit“, die kommenden Dienstag erscheint, spielt die weibliche Identität der Politikerin eine große Rolle. Den Konflikt zwischen den früheren Ampelpartnern Olaf Scholz und Christian Lindner quittierte Merkel mit dem Ausruf: „Männer.“ Es sei typisch männlich, „Dinge zu persönlich zu nehmen. Das sollte man in der Politik tunlichst vermeiden.“
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