Die Bundesregierung will die deutschen Zahlungen für die Ukraine einschränken. Nach ihrer aktuellen Haushaltsplanung steht dafür ab sofort kein neues Geld mehr zur Verfügung. Grund sind Sparmaßnahmen von Kanzleramt und Finanzministerium.
Bereits bewilligtes Material wird zwar meist noch geliefert, aber zusätzliche Anträge aus dem Verteidigungsministerium sollen auf Verlangen von Bundeskanzler Olaf Scholz nicht mehr bewilligt werden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat eine entsprechende Bitte am 5. August in einem Brief an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) weitergegeben, wird die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) an diesem Wochenende schreiben. Die Zeitung beruft sich auf Dokumente und E-Mails sowie Gespräche in mehreren Häusern der Bundesregierung und im Parlament.
In einem Brief vom 5. August schreibt Lindner an Pistorius, „neue Maßnahmen“ dürften nur eingegangen werden, wenn in den Haushaltsplänen für dieses und die kommenden Jahre „eine Finanzierung gesichert ist“. Weiter unten folgt der lapidare Satz: „Bitte stellen Sie sicher, dass die Obergrenzen eingehalten werden.“ Weil aber die Mittel für Ukrainehilfen (je nach Rechenweise 7,48 oder acht Milliarden Euro) für das laufende Jahr schon verplant sind, und die geplante Höchstgrenze für 2025 (vier Milliarden) offenbar schon jetzt überbucht ist, heißt das: Nichts geht mehr.
Für 2026 sind dann nur noch drei Milliarden vorgesehen, für 2027 und 2028 je eine halbe Milliarde. Ein Gesprächspartner in der Bundesregierung sagte deshalb, man habe den Punkt erreicht, wo Deutschland der Ukraine keine Zusagen mehr machen könne: „Ende der Veranstaltung. Der Topf ist leer.“
Im Haushaltsausschuss des Bundestages wird das bestätigt. Der stellvertretende haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Andreas Schwarz sagte, im Augenblick würden für die Ukraine „keine neuen Bestellungen ausgelöst, weil diese nicht mehr finanziert sind“. Ingo Gädechens, Haushaltspolitiker der CDU, pflichtet bei: „Von heute auf morgen frieren Olaf Scholz und seine Ampel die finanzielle und damit militärische Unterstützung der Ukraine ein.“
Offenbar können deshalb schon in diesem Jahr notwendige zusätzliche Militärhilfen im Wert von knapp vier Milliarden Euro nicht geleistet werden. Das wird von mehreren Quellen in der Bundesregierung bestätigt. Für diese Summe wollte das Verteidigungsministerium eigentlich noch im laufenden Jahr Militärausrüstung für die Ukraine bestellen, aber Kanzleramt und Finanzministerium sind offenbar dagegen. Die größten Posten auf der Wunschliste des Verteidigungsministeriums sind Artilleriemunition, Drohnen, sowie Aufwendungen für die Instandhaltung schon gelieferter deutsche Waffen. Der Zahlungsstopp greift bereits.
Eine Quelle berichtet, wegen der Sperre habe zum Beispiel unlängst ein verfügbares Flugabwehrsystem des Typs IRIS-T nicht finanziert werden können. Der Hersteller, Diehl Defence, habe unmittelbar nach dem verheerenden russischen Bombenangriff auf eine Kiewer Kinderklinik im Juli eine Einheit davon bieten können, weil ein anderer Kunde zugunsten der Ukraine verzichten wollte. Das Geld sei aber nicht bewilligt worden – gegen den Willen von Verteidigungsminister Boris Pistorius. Dessen Ministerium und die Firma Diehl wollten dazu nichts sagen.
Die Sperre hat nach Auskunft mehrerer Quellen zu einem „handfesten Streit“ in der Bundesregierung geführt. Das Kanzleramt will demnach Mittel zurückhalten, das Verteidigungsministerium, das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium sind damit nicht einverstanden.
Über die Rolle des Finanzministeriums gibt es unterschiedliche Darstellungen. Manche sagen, es stehe aufseiten des Kanzlers, andere wenden ein, es weise nur pflichtgemäß darauf hin, dass es für neue Bestellungen kein Geld mehr gebe. Im Augenblick erhält die Ukraine zwar noch Lieferungen, aber nur wegen alter Verträge. Die schon vorliegenden Bestellungen müssten nach den Informationen der FAS wegen der neuen Obergrenzen allerdings um etwa eine Milliarde verkleinert werden. Eine Quelle in der Bundesregierung sagte deshalb, die Unterstützung für die Ukraine drohe „unter die Räder zu kommen“.
Zum Streit in der Bundesregierung berichten mehrere Gesprächspartner, Pistorius habe für die erbetenen knapp vier Milliarden an zusätzlicher Ukrainehilfe für dieses Jahr zwar eine detaillierte Wunschliste aufstellen lassen. Nach einer Intervention des Kanzleramtes habe er diese Liste aber gar nicht erst vorgelegt. Das Verteidigungsministerium wollte das nicht kommentieren, und aus dem Finanzministerium hieß es, alle Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine würden „in engster Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt getroffen“. Ein Sprecher des Kanzlers sagte, das Kanzleramt sei da „nicht stärker“ involviert gewesen. Für die Rolle seines Hauses gab er technische Erklärungen. Es sei darum gegangen, dass das Verteidigungsministerium „noch nicht alle Voraussetzungen“ gemeldet habe. Auf einer Datenbank sei noch nicht alles verbucht gewesen.
In Koalition und Opposition regt sich jetzt Kritik an diesem Stopp bei der Ukrainefinanzierung. Gädechens von der CDU sagt, Scholz und die Ampel führten „bei der Ukraine ein beispielloses Schauspiel der Scheinheiligkeit auf“. Einerseits verspreche der Kanzler, „die Ukraine militärisch so zu unterstützen, wie es nötig ist“. Andererseits wolle er jetzt „der Friedenskanzler“ sein. Beides führe zu der jetzigen Situation. Auch in der Ampel gibt es Kritik. Der Obmann der Grünen im Haushaltsausschuss, Sebastian Schäfer, meint, die Halbierung der Ukrainehilfe von acht Milliarden in diesem Jahr auf vier im nächstes Jahr werfe „viele Fragen auf“, und Schwarz von der SPD fürchtet schlimme außenpolitische Folgen. Russlands Präsident Wladimir Putin könne aus dem deutschen Staatshaushalt „viel herauslesen“. Und wenn er sehe, dass für die Ukraine immer weniger Geld da sei, „dann wird seine Deutung sein: Deutschland zieht sich aus der Hilfe zurück.“ Das erschwere „eine diplomatische Lösung des Konfliktes“.
Aus Sicht des Finanzministeriums sehen die Dinge allerdings anders aus. Aus Lindners Brief vom 5. August geht hervor, dass er keinen jähen Abbruch bei den Mitteln für die Ukraine erwartet. Allerdings soll das Geld künftig nicht mehr aus dem Bundeshaushalt kommen, sondern aus eingefrorenem russischen Zen-tralbankguthaben. Die G-7-Staaten haben auf ihrem Gipfel in Italien nämlich beschlossen, aus den Erträgen dieses Geldes einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit für Kiew zu finanzieren. Lindner erwartet nun, dass die Ukraine mit diesem Geld „einen wesentlichen Teil ihres militärischen Bedarfs decken wird“.
Der Beschluss der G7-Staaten ist allerdings von der Verwirklichung weit entfernt. In keinem der Ministerien, mit denen die FAS nach eigenen Angaben gesprochen hat, wusste jemand, wie viele Monate vergehen würden, bis das Geld fließt. Im Kanzleramt herrsche zwar großer Optimismus, in den Fachressorts aber ebenso große Skepsis. Schäfer von den Grünen sagte, zur Nutzung russischer Vermögen liege „außer Ankündigungen des Finanzministers leider nichts Konkretes vor“, und der Sozaildemokrat Schwarz stellte fest, man wisse nicht, wie schnell die Erträge kommen könnten „und ob das rechtlich überhaupt möglich ist“.