„Die medizinische Versorgung von Geflüchteten ist natürlich eine große Herausforderung“, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, der „Welt“ (Dienstagsausgabe). „Besonders in strukturschwachen Regionen, in denen die Arztdichte ohnehin geringer ist als in den Großstädten, ist der zusätzliche Versorgungsbedarf spürbar.“
Insgesamt sei der allgemeine Gesundheitszustand der Geflüchteten aber wegen ihres geringeren Durchschnittsalters im Vergleich zur Gesamtbevölkerung besser. Entscheidend sei es, ausreichend Sprachmittler zu engagieren, die bei der Übersetzung von Patientengesprächen helfen könnten. „Aber wir müssen uns auch ehrlicherweise eingestehen, dass es schwer werden wird, den immensen Bedarf zu decken“. Reinhardt weiter: „Hilfreich wäre es, wenn neben den geflüchteten Menschen aus der Ukraine alle Geflüchteten in Deutschland eine elektronische Gesundheitskarte hätten und nicht mehr mit sogenannten Berechtigungsscheinen in die Praxen kommen müssten“, so Reinhardt. „Das ist für Patienten und Ärzte umständlich und bürokratisch. Wir brauchen mehr Zeit für Zuwendung, statt unnötige Zettelwirtschaft.“ Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft rechnet im Zuge der steigenden Flüchtlingszahlen mit Mehrbelastung: „Die Versorgung Geflüchteter stellt für die Krankenhäuser immer eine Herausforderung dar“, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. „Vor allem, weil Sprachbarrieren und traumatische Erlebnisse wesentliche Faktoren sind, die den Behandlungsprozess erschweren.“ Die Kombination aus vermehrten Atemwegserkrankungen, einer möglicherweise neuen Corona-Winterwelle und den Personalausfällen durch Infektionen werde im Herbst und Winter zu „sehr starken Belastungen“ in den Kliniken führen. Die größte Lücke bei der medizinischen Versorgung von Geflüchteten besteht bei psychotherapeutischer Behandlung, die meist auch für Deutsche mit langer Wartezeit verbunden ist. „Wir gehen davon aus, dass mindestens 30 Prozent der Geflüchteten psychosoziale Versorgung benötigen“, sagte Lukas Welz, Geschäftsleiter der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. Versorgt würden schätzungsweise nur wenige Prozent.
Dabei hätten viele Geflüchtete Folter, Raketenangriffe, Menschenhandel, Vergewaltigung oder den Tod naher Familienangehöriger erlebt. „Wenn die Betroffenen nicht behandelt werden, können sich schwerwiegende Depressionen und Angststörungen entwickeln, die die Integration in die Gesellschaft massiv gefährden“, warnte Welz. In Deutschland gebe es derzeit 47 Psychosoziale Zentren, die nur einen kleinen Teil des eigentlich Bedarfs abdeckten.