Die Enquetekommission des Bundestags kritisiert die Koordination des fast 20-jährigen Afghanistaneinsatzes durch die amtierenden Bundesregierungen harsch. Mit dem Abzug der Nato-Kräfte und der Machtübernahme der Taliban im August 2021 seien Deutschland und seine internationalen Partner „strategisch gescheitert, Ergebnisse und gesteckte Ziele dauerhaft abzusichern“, heißt es in dem rund 350-seitigen Zwischenbericht, der kommende Woche offiziell vorgestellt werden soll und über den der „Spiegel“ berichtet.
Die Kommission unter Leitung des SPD-Außenpolitikers Michael Müller wirft demnach den verantwortlichen Politikern in den Ministerien, Militärs und Diplomaten mangelnden Realitätssinn, schlechte Abstimmung und jahrelanges Schönreden der Lage vor. „Eine fortlaufende, selbstkritische Bestandsaufnahme hinsichtlich der sehr hoch gesetzten Ziele, deren Realisierbarkeit und dem dafür notwendigen Ressourceneinsatz hat nicht ausreichend stattgefunden“, schreibt das zwölfköpfige Gremium.
Die Abstimmung zwischen den verantwortlichen Ministerien, vor allem dem Außenamt, dem Verteidigungs- und dem Entwicklungsministerium sei durch „Ressortegoismen“ statt Kooperation geprägt gewesen. Weisungen für den Einsatz erfolgten demnach „parallel in den jeweiligen Ressorts und waren nicht aufeinander abgestimmt“.
Und weiter: „Die Definition eines ressortübergreifenden politisch-strategischen Gesamtziels fehlte“, heißt es in dem Papier. Die Vorstellungen, was man am Hindukusch erreichen kann, seien „überhöht und überfrachtet“ gewesen. Zudem seien Lagebilder nicht zu einem realistischen Gesamtbild zusammengeführt worden, Ausrüstung und Fähigkeiten der Bundeswehr hätten oft nicht der Bedrohungslage entsprochen.
Später hätten die Bundesministerien die Lage „oft zu positiv im Stil von Fortschrittsberichten“ dargestellt, dies habe das „rechtzeitige Lernen aus Fehlentwicklungen verhindert“. Brisant ist auch die Kritik, dass sich Berlin „zu wenig mit den Taliban als Teil der Gesellschaft und zentralem Konfliktakteur“ befasst habe. Berlin habe „ihren zunehmenden Einfluss unterschätzt und ihre Erfolgschancen nicht ernst genommen“.
Stattdessen sei die radikalislamistische Terrorgruppe al-Qaida als militärischer Feind bekämpft worden. Dies habe „Überlegungen zu deren Einbindung in den politischen Prozess“ verhindert und es den Taliban sogar ermöglicht, sich als „legitime Opposition zu einer korrupten und vom Ausland bestimmten Regierung“ darzustellen.
Bis spätestens nach der parlamentarischen Sommerpause dieses Jahres soll die Kommission Lehren aus dem militärischen und zivilen Engagement in Afghanistan für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik vorlegen.