Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, sagte der „Frankfurter Rundschau“ (Samstagausgabe), eine Rolle spielten auch die mehr als eine Million ukrainischen Flüchtlinge im Land, „darunter sehr viele Minderjährige, die in die Schule gehen und untergebracht werden müssen“. Da könne man nicht einfach sagen, „wir holen jetzt noch weitere Familien nach“.
Erst einmal brauche es ein „Gesamtkonzept“, so Thomae. Die Bindekraft der Zusagen im Koalitionsvertrag zog er angesichts der „angespannten Lage“ in Zweifel: „Wir müssen uns als Koalition schon fragen, ob sich die Bewertung der Vorhaben nicht geändert hat.“ Thomae distanzierte sich damit von den Aussagen im Koalitionsvertrag von 2021. Da heißt es wörtlich: „Wir werden die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten mit den GFK-Flüchtlingen gleichstellen. Wir werden beim berechtigten Elternnachzug zu unbegleiteten Minderjährigen die minderjährigen Geschwister nicht zurücklassen.“ Derzeit haben minderjährige Geflüchtete nur einen Anspruch auf Nachzug der Eltern, minderjährige Geschwister müssen in der Regel zurückbleiben, was für Familien jahrelange Trennung bedeutet. Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus – also etwa Bürgerkriegsvertriebene aus Syrien oder Afghanistan – müssen, anders als politisch Verfolgte, genügend Wohnraum und Einkommen nachweisen, damit die Kernfamilie nachkommen kann. Helge Lindh, Berichterstatter der SPD-Fraktion für weite Teile des Migrationspakets II, zu dem der Familiennachzug gehört, beharrte gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ auf Umsetzung des Koalitionsvertrags: Die Gleichstellung subsidiär Geschützter beim Nachzug sei „unbedingt notwendig“, er gehe davon aus, „dass wir das so machen“. Deutschland habe „die rechtliche und humanitäre Verpflichtung, die Familie zu schützen. Deshalb dürfen wir den Familiennachzug nicht als Hebel einsetzen, um Zuwanderung zu begrenzen.“ Auch die aktuellen Hürden beim Geschwisternachzug zu minderjährigen Geflüchteten sehe er als „unzumutbar, denn sie bescheren den Familien oft jahrelange Trennung“, sagte Lindh der „Frankfurter Rundschau“. Das von Nancy Faeser (SPD) geführte Innenministerium äußerte sich auf FR-Anfrage nicht zu Inhalten des Pakets.
Bei den Grünen fürchtet man, dass die Reform auf die lange Bank geschoben wird. Namentlich wollte sich niemand zum Streit über den Familiennachzug äußern, jedoch sprechen grüne Fraktionsvertreter bitter von einem „Grundsound“ bei SPD und FDP, „dass jede einreisende Person eine zu viel ist“. Faeser hatte das Migrationspaket II im Sommer 2022 schon für den vergangenen Herbst angekündigt, es liegt aber bis heute nicht vor. Das Paket soll auch Themen wie konsequentere Rückführungen und Lockerungen von Arbeitsverboten regeln.
Derzeit wird im Parlament noch die erleichterte Fachkräfteeinwanderung beraten, dann steht die Reform des Einbürgerungsrechts an, bei der der FDP-die Faeser-Vorschläge zu weit gehen. Die Arbeiten an der Reform des Familiennachzugs könnten damit frühestens nach der Sommerpause beginnen, erfuhr die FR. Sozialdemokrat Lindh, Berichterstatter der SPD-Fraktion für weite Teile des Pakets, sagte der „Frankfurter Rundschau“, er rechne „mit heftigen parlamentarischen Debatten“.