Der Berliner Theologe und Mitglied des Deutschen Ethikrates, Andreas Lob-Huedepohl, hat die deutsche Politik vor einem Aufschnüren der aktuellen Abtreibungsgesetzgebung gewarnt. „Wenn mühsam gefundene politische und gesellschaftliche Kompromisse in dieser Frage aufgekündigt werden, wird darunter nicht nur das ungeborene Leben zu leiden haben, sondern am Ende auch Frauen selbst“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitagausgabe).
Fragen der menschlichen Fortpflanzung seien in der Geschichte immer wieder dazu missbraucht worden, Frauen bestimmte Rollen zuzuweisen. Die bisherige Regelung in Deutschland, dass Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen zwar illegal, aber straffrei sind, sei ein „sinnvoller Ausgleich zwischen dem Lebensrecht des Kindes und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, der nicht zunichte gemacht werden“ sollte, so der katholische Theologe.
Eine Expertenkommission der Bundesregierung soll am Montag eine Stellungnahme zum Strafrechtsparagraphen 218 vorlegen, der Abtreibungen verbietet. Laut Medienberichten will sich das Gremium dafür aussprechen, dass Abtreibung nur dann strafbar sein soll, wenn der Fötus eigenständig lebensfähig wäre. Vollständig legal soll der Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen sein.
„In der Gesellschaft sind die Grundannahmen der bisherigen Kompromissregelung brüchig geworden“, sagte Theologe Lob-Huedepohl. „Wer Embryonen nur für einen Zellverband hält, der kann kein Verständnis dafür haben, dass das Recht des Embryos auf Schutz moralisch genauso schwer wiegen könnte wie das Recht der Frau auf Selbstbestimmung. Der kann kein moralisches Dilemma sehen.“
Aber auch in den modernen Humanwissenschaften gebe es immer lautere Stimmen, die den Beginn menschlichen Lebens nicht bereits für die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ansetzten, sondern erst zu einen deutlich späteren Zeitpunkt oder wenn der Embryo auch außerhalb des Mutterleibs lebensfähig sei. „Das ist übrigens auch weltweit eine weit verbreitete Meinung“, sagte Lob-Huedepohl. „Selbst in den großen Weltreligionen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Und auch die UN-Kinderrechtskonvention kennt keine pränatalen Kinderrechte.“