Belgiens Notenbankchef Pierre Wunsch spricht sich vor dem EZB-Zinsentscheid Anfang Juni dagegen aus, überzogene Erwartungen zur Zinswende zu schüren. „Wir sollten davon absehen, uns auf eine zweite Zinssenkung bereits im Juli festzulegen“, sagte das Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) dem „Handelsblatt“ (Mittwochausgabe). „Die Märkte würden davon ausgehen, dass wir eine Serie von Zinssenkungen einleiten.“
Wunsch plädiert dafür, die Zinswende „schrittweise und nicht zu schnell“ anzugehen. „Außer bei einem plötzlichen Schock in den kommenden Monaten müssen wir beim ersten halben Prozentpunkt an Zinssenkungen nicht mehr lange überlegen“, sagte Wunsch. „Nach den ersten beiden Zinssenkungen wird es schwieriger.“ Es sei „unsicher, wo wir am Ende mit den Zinsen landen werden“, sagte Wunsch.
Der Belgier sieht in einer verzögerten Zinswende in den USA mögliche Folgen für die EZB. „Höhere US-Zinsen können zu einem starken Dollar und damit zu importierter Inflation, also höheren Preisen bei uns führen“, so Wunsch. „Das könnte dazu führen, dass wir unsere Leitzinsen langsamer senken.“
Kritisch sieht Wunsch den Beschluss des EZB-Rats, Anleihekaufprogramme dauerhaft nach Klimakriterien zu gewichten. „Wir rücken vom strikt risikobasierten Ansatz ab und bewegen uns Richtung einer grünen Ausrichtung unserer Anleiheportfolios, die mit sekundären Zielen zusammenhängt“, sagte Wunsch. „Wir müssen derartige Risiken konkreter definieren, wenn wir sie zum Maßstab unserer Entscheidungen machen.“ Wunsch befürchtet einen „Präzedenzfall“, der zu einer stärkeren Politisierung der EZB führen könnte.