„Ich kann die Kritiker in diesem Punkt verstehen und kritisiere auch Teile dieser Russlandpolitik“, sagte Gauck dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Nach 2014, also nach der Annexion der Krim durch Russland, NordStream 2 weiter als privatwirtschaftliche Sache zu betrachten, sei „gewagt“ gewesen.
„Da hätte man besser auf die Stimmen unserer östlichen Nachbarn gehört, der Polen, der Balten und unserer atlantischen Partner“, sagte Gauck. Der Erfolg der ukrainischen Streitkräfte sei „auch in unserem eigenen Interesse“ und die Unterscheidung zwischen Panzerhaubitzen und Kampfpanzern „etwas künstlich“. „Wenn ich mit Militärexperten spreche, ist offenkundig, dass eine Panzerhaubitze eine wirkmächtige Waffe ist, auch im Vergleich zu Kampfpanzern“, sagte Gauck dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Deshalb sei es „etwas künstlich, dass wir ein Waffensystem mit großen Reichweiten und hohem Bedrohungspotenzial als lieferbar hinstellen, während wir es bei einem anderen verneinen, das den Gefechtswert des erstgenannten nicht grundsätzlich überbietet“. Die Debatten der letzten Tage hätten zudem gezeigt, dass die Amerikaner die Lieferung bestimmter Waffensysteme nicht grundsätzlich ausschlössen, betonte Gauck weiter. „Es wird also weiter darüber zu reden sein, wie wir die Ukraine militärisch unterstützen können. Der Erfolg der ukrainischen Streitkräfte ist auch in unserem eigenen Interesse“, sagte der frühere Bundespräsident. Gauck forderte eine „starke Unterstützung“ der Ukraine. „Wir sehen zu deutlich die Absicht Putins, eine ganze Bevölkerung unterschiedslos zu terrorisieren, sie erfrieren zu lassen; sie um ihre Rechte, sogar um ihr Lebensrecht zu bringen“, sagte er und betonte: „Auch angesichts des imperialen Wahns, von dem dieser Mann offenkundig besessen ist, ist leider Schlimmes zu erwarten. Deshalb ist nach wie vor eine starke Unterstützung der Ukraine nötig.“ Einen Waffenstillstand hält Gauck aktuell nicht für erreichbar. „Für mich persönlich wäre ein Waffenstillstand heute besser als irgendwann. Ich möchte sehen, dass das Morden aufhört“, sagte der frühere Bundespräsident dem RND. „Wir müssen aber bedenken, dass ein Waffenstillstand im Moment dem übermächtigen russischen Aggressor die Gelegenheit gibt, seine Truppen neu zu organisieren und für Nachschub zu sorgen.“
Deshalb könne die Ukraine über einen Waffenstillstand nur mit der klaren Perspektive zu einem Frieden verhandeln. Die Ukraine brauche zuerst eine Versicherung, dass ein Waffenstillstand nicht zu ihren Lasten gehe.