Die Pläne von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) für einen „Auswahlwehrdienst“ sind auf ein geteiltes Echo gestoßen.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber (FDP), hat das Vorhaben gelobt. Nicht jeder junge Mensch habe vor Augen „welche Möglichkeiten es bei der Bundeswehr und in der Reserve“ gebe, sagte Faber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstagausgaben). Wenn die aktuellen Pläne nicht die Bundeswehr ausreichend stärken würden, müsse man künftig junge Menschen gesetzlich verpflichten.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr lehnt dagegen eine Pflicht ab. „Deutschland braucht eine starke Bundeswehr. Was Deutschland nicht braucht, ist eine Wehrpflicht. Gut, dass sie nun vom Tisch ist“, sagte Dürr am Mittwoch dem Nachrichtenportal „T-Online“. Er freue sich, dass Pistorius` Vorschläge denen der FDP näher kämen.
„Wenn echte Verteidigungsfähigkeit unser Ziel ist, müssen wir junge Menschen dafür begeistern, den wichtigen Dienst an unserer Sicherheit zu leisten, anstatt sie gegen ihren Willen zu verpflichten“, sagte Dürr. Eine verbindliche Selbstauskunft könne dazu beitragen. „Außerdem brauchen wir eine Stärkung unserer Reserve, in der großes Potenzial liegt“, so der FDP-Politiker weiter. „Die Bundeswehr muss ein attraktiver Arbeitgeber sein, der breite Berufsperspektiven schafft. Auch das muss noch viel stärker in den Fokus.“
Ähnlich sieht das SPD-Chef Lars Klingbeil. „Klar ist, wir müssen junge Menschen überzeugen, freiwillig zur Bundeswehr zu gehen“, sagte Klingbeil dem „Stern“. „Es geht jetzt darum, die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen. Das kann vor allem über Anreize gelingen.“
Pistorius packe die Personalprobleme bei der Bundeswehr an, sagte Klingbeil. „Er hat dabei meine Unterstützung.“ Das Land müsse wieder „verteidigungsfähig“ werden. Russland führe einen brutalen Krieg gegen die Ukraine und auch gegen unsere Werte. „Dafür brauchen wir eine moderne Bundeswehr, die gut aufgestellt und gut ausgestattet ist.“ Es brauche die besten Kräfte, „die bereit sind“, unser Land zu verteidigen. Das heiße auch, dass Soldaten noch mehr Wertschätzung entgegengebracht werden müsse.
Der Union gehen die Pläne hingegen nicht weit genug. Der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Henning Otte (CDU), hat begrüßt, dass der Verteidigungsminister das Thema Personalaufbau mit diesem ersten Schritt thematisiert. „Allerdings fehlt die politische Einigung in der Koalition für eine Grundgesetzänderung, die einen anlassbezogenen verpflichtenden Dienst für Männer und Frauen ermöglichen würde“, sagte Otte dem „Handelsblatt“ (Donnerstagausgabe). Um angesichts der sicherheitspolitischen Lage schnell und umfassend reagieren zu können, „wäre eine solche Grundgesetzänderung, auch um Rechtssicherheit zu bekommen, der bessere Weg gewesen“, so Otte.
Der vorgeschlagene Wehrdienst sei im Grunde lediglich eine Stärkung des bestehenden freiwilligen Dienstes, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Mediengruppe Bayern (Donnerstagausgaben). Otte kritisiert auch die kurze Verpflichtungsdauer, die der SPD-Minister anvisiert. „Im Rahmen der notwendigen Zeitenwende wäre ein Konzept, was über den Plan eines sechsmonatigen freiwilligen Grundwehrdienstes hinausgeht, der Sicherheitslage angemessener gewesen.“
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), hält die Reform ebenfalls nicht für ausreichend. „Das vorgestellte Modell wird seinem Anspruch schon dem Namen nach nicht gerecht“, sagte Hahn den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstagausgaben). „Weder handelt es sich um eine Pflicht, noch wird die Wehr adäquat gestärkt.“ Die von Pistorius vorgestellten Pläne seien nach langen Ankündigungen ein „mageres Ergebnis“.
Hahn führte dies auf mangelnde Unterstützung in der Ampel-Koalition für den Minister zurück. „Anstatt die so dringend notwendigen Entscheidungen bewusst auf- und in die nächste Wahlperiode zu schieben, wäre es richtig gewesen, jetzt alle Voraussetzungen für den personellen Aufwuchs der Streitkräfte und die Einführung einer Wehrpflicht zu schaffen“, sagte der CSU-Politiker. „Dazu gehören besonders die Infrastruktur und die Ausbildungsorganisation jetzt aufzubauen.“
Der Grünen-Abgeordnete Emilia Fester gehen die Pläne hingegen zu weit. „Das ist ein krasser Eingriff in das Leben von jungen Menschen“, sagte sie dem Nachrichtenportal „Watson“. Stattdessen solle man ihnen besser zuhören und ihre Wünsche und Sorgen ernst nehmen.
Fester setzt auf eine weitreichende Reform des freiwilligen Wehrdienstes, aber auch aller zivilen Freiwilligendienste. Diese soll die Jugend einerseits gleichstellen und andererseits mit guter Demokratiebildung und finanzieller Absicherung für alle jungen Menschen ausstatten. „Wir sollten das komplette Potenzial der Freiwilligkeit nutzen“, sagte sie.
Dass der Vorschlag der Wehrdienst-Reform in erster Linie verpflichtend nur junge Männer betrifft und für Frauen lediglich freiwillig sein soll, versteht die Grünen-Abgeordnete nicht. „Wäre die Musterungspflicht nicht sowieso schon ein fragwürdiger Vorschlag für die angesprochene Jugend, so gilt der erwartbare verpflichtende Einzug zu allem Überfluss auch noch nur den jungen Männern“, so Fester. „Was soll das für ein Zeichen an die Frauen in der Bundeswehr sein, die einen so wichtigen Teil zur Kulturveränderung in der Armee beitragen?“
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte am Mittwoch seine Pläne für einen „Auswahlwehrdienst“ vorgestellt. Künftig sollen demnach alle 18-Jährigen digital für einen Fragebogen zur Wehrerfassung kontaktiert werden. Für Männer soll das Ausfüllen des Bogens verpflichtend sein, für Frauen freiwillig. So soll das Interesse möglicher Bewerber, ihr Gesundheitszustand und beispielsweise ihre Hobbys erhoben werden. Die „fittesten, geeignetsten und interessiertesten“ 40.000 bis 50.000 jungen Erwachsenen jedes Jahrgangs sollen dann – ebenfalls verpflichtend – zur Musterung eingeladen werden. Insgesamt sollen so zunächst 5.000 zusätzliche Rekruten gewonnen werden, mit steigender Tendenz. Ihnen werden zwei Optionen angeboten: ein Grundwehrdienst mit einer Dauer von sechs Monaten für Gewehrträger mit geringerer Qualifikation. Oder ein Wehrdienst von zwölf bis 17 Monaten, bei dem die Teilnehmer tiefer in die Strukturen der Bundeswehr integriert werden und so beispielsweise lernen, bestimmte IT-Dienstleistungen zu erbringen oder Panzer zu fahren.
Insgesamt sieht Pistorius die Notwendigkeit, die Zahl der aktuell 181.000 Streitkräfte auf 203.000 zu erhöhen. Durch die Wehrdienstpläne sollen außerdem zu den 60.000 Reservisten 200.000 Personen hinzukommen, die nach dem Wehrdienst in die Reserve überführt werden. Zum Vergleich: Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es rund 500.000 Streitkräfte und etwa 800.000 Reservisten.