Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die den Kompromiss mitverhandelt hat, verteidigte die Reform. Jetzt komme man endlich zum gemeinsamen europäischen Asylrecht, dabei habe man „hohe humanitäre Standards durchgesetzt“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Samstagsausgabe).
„Hätten wir uns jetzt nicht geeinigt, hätten uns mehr nationalstaatliche Abschottung und weiterhin vollkommen ungeregelte und teilweise unmenschliche Verhältnisse an den Außengrenzen gedroht.“ Dem widersprach die Chefin der Jungendorganisation ihrer Partei entschieden: Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal (SPD) nannte die EU-Asyl-Reform „beschämend“. „Wir verurteilen auf Schärfste, dass man sich auf Haftlager an den Außengrenzen geeinigt hat und damit eine Festung Europa Realität werden lässt“, sagte sie dem „Spiegel“. Konkret geht Rosenthal auf Faesers Rolle bei dem Kompromiss ein: „Diese Abschottungsmentalität wurde auch von Sozialdemokraten als Lösungsweg mitverhandelt.“
Das enttäusche sie sehr. Der Unionsfraktion im Bundestag geht die Einigung hingegen nicht weit genug. „Die Ergebnisse reichen nicht aus, um die Asylmigration in die EU auf Dauer wirksam zu ordnen und zu begrenzen und für eine angemessene Lastenverteilung in Europa zu sorgen“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz (CSU). Wenn bei der Verteilung von Asylbewerbern „weitreichende Familienbeziehungen eine Rolle spielen“ sollten, werde Deutschland durch zahlreiche „Ankerpersonen“ zusätzlich belastet, so Lindholz.
Unter den Grünen ist die Reform umstritten. Außenministerin Annalena Baerbock schrieb in einem Brief an ihre Fraktion, über den die „Bild“ berichtet, zwar sei es ihr „als Außenministerin, als Grüne und auch persönlich sehr schwergefallen“, sie halte den Kompromiss aber „dennoch für richtig“. Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin verurteilte die deutsche Zustimmung zum EU-Asylkompromiss hingegen scharf. „Es war richtig, die Verhandlungen für ein gemeinsames Asylsystem und eine gerechte Verteilung von Flüchtenden in Europa zu führen“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstagsausgabe).
Aber wenn man verhandelt, müsse man auch wissen, wo die „Grenzen des Vertretbaren“ seien. „Und diese Grenzen wurden mit dem Ergebnis überschritten – etwa mit der Möglichkeit, auch minderjährige Kinder zu inhaftieren.“ Mit diesem Beschluss dürfe sich an den „katastrophalen Zuständen wie in Moria“ wenig ändern, „dafür entstehen neue Lager“. Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat stimmt ihrem Parteikollegen zu.
„Diese Einigung bedeutet eine Verstetigung von Leid und Chaos“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Man entrechte Schutzsuchende nicht nur, sondern trete internationale Konventionen mit Füßen. „Der Beschluss ist ein Beispiel für das Einknicken vor rechten Narrativen auf Kosten der Menschenrechte“, so Polat. Auch der Vorsitzende des Europaausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), lehnt die Pläne zur Reform des EU-Asylrechts ab.
„Ich halte die Verschärfung des Asylrechts für einen Fehler“, sagte er dem „Stern“. Er erwarte, dass der Beschluss nicht verteidigt werde, „sondern dass die gesamte Grünen-Spitze, einschließlich der Minister, jetzt alles dafür tut, dass dieser Kompromiss in der Form nicht kommt“. Die Grünen sollten stattdessen gemeinsam an einer „vernünftigen und humanitären Lösung arbeiten“, so Hofreiter. Er griff vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) scharf an: „Es ist von Frau Faeser auf alle Fälle ein Einknicken vor rechtspopulistischen Positionen.“ Anders bewertet der Koalitionspartner FDP das Ergebnis. „Europa hat nach Jahren des Streits nun die historische Chance ergriffen, echte Reformen in der gemeinsamen Asylpolitik voranzubringen“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr dem Nachrichtenportal „T-Online“ am Freitag. Die geplanten Reformen könnten eine „spürbare Entlastung von Ländern und Kommunen“ bewirken. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) teilt die Meinung des Fraktionsvorsitzenden. Er würde sich wünschen, „dass sich auch die Grünen geschlossen zu dieser Einigung bekennen“, sagte Buschmann. Der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Gottfried Curio, ist mit der Tragweite des Kompromisses unzufrieden. „Wenn sich etliche Länder nun tatsächlich von ihrer neuen `Aufnahmepflicht` freikaufen, dürfte am Ende wieder ein erklecklicher Teil an Deutschland hängen bleiben“, teilte Curio am Freitag mit. Die Linke zeigte sich hingegen erschrocken über den Beschluss. „Das widerspricht den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags und der Ankündigung einer humanen Flüchtlingspolitik“, sagte Partei-Chefin Janine Wissler. Es sei ein „Kniefall vor Rechtsaußen, ein Erfolg für die rechten Kräfte in ganz Europa“ und werde sie weiter stärken. Ihr Co-Vorsitzender, Martin Schirdewan, pflichtet ihr bei: „Die jetzige Einigung verschlimmert die Situation an den Außengrenzen, inhaftiert Schutzsuchende und gefährdet Menschenleben.“ Nachdem die EU-Staaten sich Donnerstagabend auf eine gemeinsame Position geeinigt haben, geht das Gesetzesvorhaben in das sogenannte „Trilog-Verfahren“, in dem Rat und EU-Parlament miteinander verhandeln. Erst im Anschluss soll über einen gemeinsamen Entwurf der Institutionen abgestimmt werden.