Viele Städte und Gemeinden könnten die Unterbringung der Flüchtlinge „kaum noch und bald gar nicht mehr gewährleisten“, sagte Habeck dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagausgaben). „Diese Kommunen brauchen unsere Unterstützung.“
Der Vizekanzler kündigte schnelle Hilfe durch die Bundesregierung an, unter anderem durch Entbürokratisierung. „Es ist nötig, die Ausländerbehörden zu entlasten“, sagte er. Deshalb werden die Bundesregierung es möglich machen, dass die Aufenthaltserlaubnisse für Ukrainer pauschal verlängert werden können statt individuell. Zudem bestünden zu viele bürokratischen Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt, so der Wirtschaftsminister.
„Wir haben einen Mangel an Arbeitskräften. Es ist doch in unserem Interesse, dass Menschen, die schon hier sind, ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können“, sagte Habeck. „Und natürlich brauchen die Kommunen die nötige finanzielle Unterstützung.“ Seine Partei sei auch zu pragmatischen Lösungen bereit, um den Zuzug bereits an den EU-Außengrenzen zu senken.
„Wir haben regierungsseitig einem Gemeinsamem Europäischem Asylsystem, das unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen der EU vorsieht, zugestimmt, aber es war schwierig für viele Grüne“, so Habeck. „Aber um Recht auf Asyl zu schützen, müssen wir die Wirklichkeit annehmen und die konkreten Probleme lösen – auch, wenn es bedeutet, moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen. Wir wissen, dass wir eine Verantwortung für den Zusammenhalt in diesem Land tragen.“ Die von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) geforderte Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen hält Habeck zwar für untauglich, er sprach sich aber für die Beschleunigung von Abschiebungen durch neue Vereinbarungen mit den Herkunftsländern aus.
„In der Praxis löst eine Obergrenze kein einziges Problem, weil im Zweifel doch mehr Menschen kommen“, sagte der Grüne. Die Vorstellung, man könne das Problem mit einer Zahl lösen, erhöhe am Ende nur den Grad der Enttäuschung. „Effektiver sind Migrationsabkommen, die auch die Rückkehr abgelehnter Asylsuchender beinhalten“, so Habeck. Diese Migrations- und Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern seien „ein wesentlicher Schlüssel“ in der Flüchtlingspolitik.
„Die Wahrheit lautet: Nicht alle, die kommen, haben ein Recht, hierzubleiben. Also müssen sie ausreisen“, sagte der Vizekanzler. Rückführungen würden bislang aber häufig daran scheitern, dass die Herkunftsländer die Menschen nicht wieder aufnehmen. Deshalb müssten Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Migrationsbeauftragte Joachim Stamp schnell weitere der Vereinbarungen abschließen, forderte Habeck.
Damit das gelinge, müsse man den Herkunftsländern etwas bieten. „Wir brauchen unbedingt Anreize, damit Länder überhaupt bereit sind, diese Migrationsabkommen zu schließen“, erklärte der Grünen-Politiker. Dazu könnten etwa legale Wege in den Arbeitsmarkt zählen. Solche Abkommen „müssen den Herkunftsländern oder Transitländern einen guten Grund geben, die Menschen nicht einfach aufs Mittelmeer in die Gefahr ziehen zu lassen“, so Habeck. „Sie dürfen aber nicht der Deal sein `Geld gegen Gewalt`. Es ist zentral, dass das verstanden wird.“ Bürgermeister und Landräte aus ganz Deutschland hätten ihn bei einem Treffen vor einer Überlastung bei Unterbringung und Integration gewarnt, sagte der Grünen-Politiker. Es mangele vor allem an Sozialarbeitern, Wohnraum und Integrationskursen. „Da herrscht eine gewisse Dramatik“, so Habeck. „Wenn wir nicht wollen, dass der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet, dann sind alle demokratischen Parteien verpflichtet, bei der Suche nach Lösungen zu helfen.“