In der aktuellen Situation sei Besonnenheit statt Panik gefragt, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der „Welt“ (Dienstagsausgabe). „Herr Kretschmer scheint massiv unter Druck zu stehen, da Teile seiner CDU in Sachsen offen mit der AfD koalieren wollen.“
Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von Anfang Mai sollten nicht kurzfristig wieder infrage gestellt werden, so Wiese. „Zudem wollen wir auf europäischer Ebene vorankommen und Migration besser steuern.“ Der FDP-Asylexperte Stephan Thomae sagte, von den rund 228.000 Asylentscheidungen im Jahr 2022 sei nur in 0,8 Prozent der Fälle Asyl nach Artikel 16a Grundgesetz gewährt worden. Die weitaus meisten Anerkennungen erfolgten auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Das zeige, dass eine Grundgesetzänderung „praktisch keinen Effekt“ hätte. „Worauf es ankommt, ist eine konsequentere Differenzierung zwischen Menschen, die wirklich politisch verfolgt sind oder vor Krieg und Bürgerkrieg fliehen, und solchen Menschen, bei denen das nicht der Fall ist. Diese Entscheidung kann und muss schon an den europäischen Grenzen erfolgen“, sagte Thomae der „Welt“. Das Problem liege nicht mehr darin, dass man keine Kontrolle über die deutschen Grenzen habe, wie das 2015 und 2016 der Fall gewesen sei, sondern dass die Zurückschiebungen in die europäischen Transitländer nach dem Dublin-System immer noch nicht zufriedenstellend funktionierten. Clara Bünger von der Linksfraktion hielt Kretschmer unterdessen vor, „wahllos mit rechten Narrativen um sich“ zu werfen. „Herr Kretschmers Worte sind rhetorische Brandbeschleuniger in einer ohnehin überhitzt geführten Debatte“, sagte die Flucht- und Rechtspolitikerin der Zeitung. „Wenn Herr Kretschmer zum wiederholten Male die Rechtmäßigkeit der Verfassung infrage stellt, muss er sich fragen lassen, ob er noch auf dem Boden des Grundgesetzes steht.“ Der Bund müsse mehr Geld an die Kommunen zahlen, als dies zuletzt vereinbart wurde. Die Infrastruktur der Kommunen müsse massiv auf allen Eben verbessert werden. „Wer, wie Herr Kretschmer, die Situation weiter aufheizt, gibt Wind in die Segel der AfD und betreibt Wahlkampf für rechte Parteien. Dadurch wird es mehr Hass gegen Menschen geben, die als Geflüchtete identifiziert werden.“ AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla äußerte sich irritiert über den Vorstoß von Kretschmer: „Das Grundrecht auf Asyl sollte zur Disposition gestellt werden, wenn es nicht mehr im Interesse der deutschen Bürger funktioniert.“
Kretschmer habe bisher allerdings keine Anstalten gemacht, die massive Asylzuwanderung zu bremsen. „Offenbar will er im Wahlkampf um Sachsen punkten, indem er unsere Forderungen kopiert“, sagte Chrupalla der „Welt“.