Kritik an Beschlüssen zur Kindergrundsicherung

Ökonomen, Gewerkschaften sowie Sozial- und Kinderrechtsverbände haben die Einigung der Ampel-Parteien bei der geplanten "Kindergrundsicherung" als unzureichend kritisiert.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte die Koalition vor einem Akzeptanzverlust bei den Bürgern. Fratzscher beklagte gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe eine „Unwucht“ bei den politischen Prioritäten der Koalition: Für die Kindergrundsicherung und die Bekämpfung der Kinderarmut seien nun lediglich 2,4 Milliarden Euro eingeplant, jedoch 6,5 Milliarden Euro für Steuersenkungen für Unternehmen und weitere 5 Milliarden Euro für subventionierten Strom für die Industrie.

Die Bundesregierung laufe Gefahr, die Akzeptanz und die Unterstützung der Bürger zu verlieren, „wenn sie die Unwucht in ihren Prioritäten weiterverfolgt“, sagte Fratzscher. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi schloss sich der Kritik an. „Der in der Ampel ausgehandelte Kompromiss bündelt im Wesentlichen bestehende Leistungen, eine verbesserte Unterstützung für armutsgefährdete Kinder bietet er nicht. Das ist kläglich“, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Kinderarmut werde damit nicht wirksam bekämpft. Wenn von ursprünglich geforderten 12 Milliarden Euro mehr pro Jahr nun gerade mal 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden sollen, davon zum Teil für Verwaltungskosten, zeige dies deutlich, dass der Ampel-Kompromiss falsche Schwerpunkte setze. „Für Steuererleichterungen für obere Einkommensschichten und für die Wirtschaft ist Geld da, für Kinder offensichtlich nicht“, sagte Werneke weiter. Die Kindergrundsicherung verdiene ihren Namen nur, wenn sie finanziell substanziell mehr ausmache als nur eine Umwidmung bestehender Programme. „Denn die bestehenden Programme führen dazu, dass jedes fünfte Kind armutsgefährdet ist“, sagte Werneke. „Das ist beschämend.“ Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) kritisierte, es fehlten generelle Leistungserhöhungen und eine grundsätzliche Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums. „Dieser Kompromiss hat einiges Gutes, aber auch noch viel Luft nach oben“, sagte SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke-Mediengruppe mit Blick auf die jüngsten Eckpunkte der Berliner Ampelkoalition. Es sei richtig, Alleinerziehende und ihre Kinder besserzustellen, auch die Bündelung von Leistungen und die Zuständigkeit der Familienkasse seien sinnvoll. „Finanziell haben wir aber mehr erwartet – 2,4 Milliarden reichen auch aus unserer Sicht nicht aus, um Armut wirklich nachhaltig zu bekämpfen“, so Engelmeier. Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger sagte am Montag, die Kindergrundsicherung sei nach jetzigem Planungsstand „nicht der erhoffte große Wurf“, der die Kinderarmut in Deutschland umfassend und nachhaltig beseitige. „Dafür wurden im Laufe der regierungsinternen Beratungen zu viele Abstriche an den ursprünglichen Zielen der Kindergrundsicherung gemacht.“

Die Kindergrundsicherung müsse sich an den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientieren. „Dafür braucht es mehr finanzielle Mittel in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen, und vor allem eine zügige Neubemessung des kindlichen Existenzminimums.“ Dieses Existenzminimum dürfe nicht mit „willkürlichen Abschlägen künstlich kleingerechnet werden“, aber genau damit müsse bei den veranschlagten Kosten für die Kindergrundsicherung in Höhe von 2,4 Milliarden Euro gerechnet werden, so Krüger. Grundsätzlich begrüße man aber, dass es bei der Kindergrundsicherung jetzt „endlich einen Schritt vorwärtsgeht“.

Enttäuscht zeigte sich auch der Kinderschutzbund: „Das, was die Bundesregierung vorschlägt, ist enttäuschend. Das ist keine Kindergrundsicherung“, sagte Kinderschutzbund-Präsidentin Sabine Andresen. Dass künftig der Anspruch für einen Kinderzuschlag für erwerbstätige Eltern automatisiert geprüft werde, sei zwar „ein Schritt in die richtige Richtung“, insgesamt sei das Konzept aber „mutlos und schafft nicht den erhofften Beitrag zu Bekämpfung der Kinderarmut“. Den versprochenen Systemwechsel zu einer Kindergrundsicherung, also eine „echte Reform“ des Familienlastenausgleichs, schaffe die Ampel-Koalition nicht. „Selbst bei der Zusammenführung von Leistungen bleibt zum Beispiel der Leistungsdschungel des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten“, so Andresen. Daran werde auch ein neues digitales Antragsportal nichts ändern. „Im weiteren Prozess werden wir sehr genau beobachten, dass die Bundesregierung zumindest ihr Versprechen hält, einzelne Kinder nicht schlechter zu stellen als vor der Reform.“




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