Ex-Kanzlerin Angela Merkel verteidigt das Offenhalten der deutschen Grenzen während der Flüchtlingskrise von 2015. „Ich hatte damals das Gefühl, ich hätte sonst die gesamte Glaubwürdigkeit der Sonntagsreden über unsere tollen Werte in Europa und die Menschenwürde preisgegeben“, sagte Merkel dem „Spiegel“.
„Die Vorstellung, zum Beispiel Wasserwerfer an der deutschen Grenze aufzustellen, war für mich furchtbar und wäre sowieso keine Lösung gewesen.“ Zu Forderungen der CDU, Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, sagte Merkel: „Ich finde das nach wie vor nicht richtig.“ Denn: „Es ist doch eine Illusion anzunehmen, alles wird gut, wenn wir Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen.“ Sollte es der EU nicht gelingen, das Problem der illegalen Migration zu lösen, fürchtet Merkel „ein Stück Rückabwicklung der europäischen Integration, mit Folgen, die man nicht abschätzen kann“.
In ihrer Autobiografie schreibt sie, dass die verzweifelte Lage der Geflüchteten in Ungarn 2015 sie an die DDR-Bürger erinnert habe, die kurz vor dem Mauerfall in der westdeutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht hatten. Aufgrund ihrer DDR-Erfahrungen verteidigte die Altbundeskanzlerin auch ihre Selfies mit Flüchtlingen: „Ein freundliches Gesicht bringt niemanden dazu, seine Heimat zu verlassen. Ich kenne viele Flüchtlinge aus der DDR. Niemand hätte sich auf den Weg gemacht wegen der Aussicht auf einen Handshake mit Helmut Kohl“, sagte Merkel dem „Spiegel“.
Ohnehin erwarte Flüchtlinge „hier in der Bundesrepublik auch nicht das tollste Leben“. Ausdrücklich bejahte sie eine „Bringschuld“ der Deutschen gegenüber Zuwanderern: „Ohne die Offenheit und Veränderungsbereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft kann es keine Integration geben. Voraussetzung ist ein Mindestmaß an Wissen über andere Kulturen, ich muss mich schon dafür interessieren.“
Die Altkanzlerin beteuerte aber, sie habe „die Ängste der Menschen vor zu viel Zuwanderung und islamistischem Terrorismus immer sehr ernst genommen: Wenn man auf ein Volksfest geht und fürchtet, hinter mir zieht gleich einer ein Messer, dann ist das sehr verunsichernd, auch wenn es diese Gefahr in dem Moment vielleicht gar nicht gibt.“ Aber als Kanzlerin hätte sie auch Politik für Leute machen wollen, die Angst hätten, „dass wir zu intolerant und hart werden“.
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