Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) verteidigt sich gegen den Vorwurf, ihr Papier zur Erinnerungskultur könne Anlass zur Relativierung des Holocaust bieten. „Dieser Vorwurf ist nun wirklich absurd“, sagte Roth der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Es gehe ihr gerade darum, der Tendenz zur Entsorgung von Geschichte etwas entgegenzusetzen: „Wenn ich an Maximilian Krahs Äußerungen über die SS, den `Vogelschiss` von Alexander Gauland oder den Geschichtsrevisionismus eines Putins denke: Das sind Fälle, die uns alarmieren müssen“, so Roth in der „Zeit“.
Roths Erinnerungspapier sieht vor, dass neben den NS-Verbrechen und dem SED-Unrecht künftig auch der Kolonialgeschichte, der Migrationsgeschichte und der Demokratiegeschichte gedacht werden. Daraufhin hatte es massive Kritik von den deutschen Gedenkstätten gegeben: Roths Vorschlag könne als „geschichtsrevisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen“ verstanden werden.
Roth widerspricht dem nun vehement: „In einer Zeit, in der Demokratiefeinde definieren wollten, wer zur deutschen Gesellschaft gehört, müssen wir offen diskutieren, was Erinnerung in der Einwanderungsgesellschaft heißt“, sagte Roth. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus und das Menschheitsverbrechen der Shoa sowie die besondere Verantwortung, die damit verbunden sei, sollte für alle Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, von Bedeutung sein. Umgekehrt gelte doch aber auch, die Geschichten von Mitbürgern, die womöglich vor Kriegen geflohen seien, und ihre Einwanderer-Erfahrungen zum Teil der Erinnerung zu machen.
Roth sagte, dass gerade in der Debatte um Israel und Gaza die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit helfen könne, dem Antisemitismus in Teilen der postkolonialen Linken entgegenzutreten: „Nicht erst seit dem 7. Oktober zeigt sich, dass manche Teile des Dekolonialisierungsdiskurses anfällig für Antisemitismus sind. Das kann doch aber nicht bedeuten, sich deshalb nicht mehr mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen“, sagte sie.
Am 6. Juni lädt Roth die Leiter der Gedenkstätten zum Runden Tisch ein, um über eine neue Gedenkstättenkonzeption zu beraten. Sie verteidigt in diesem Zusammenhang in der „Zeit“ ihren Ansatz, auch kontroverse Debatten zu führen: „Ich hätte versuchen können, mir ein bequemeres Leben als Kulturverwalterin zu machen, die vor allem Fördergelder und Preise verteilt. Aber mein Anspruch ist es, Kulturpolitik aktiv zu gestalten“, so Roth.