Staatsrechtler bewerten Wahlrechtsreform unterschiedlich

Der Gesetzesentwurf der Ampel-Fraktionen für eine Reform des Bundestagswahlrechts mit einem völligen Wegfall der Grundmandatsklausel werden von Staats- und Parteienrechtlern konträr bewertet.

Während die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger den Ampel-Vorschlag in der „Welt“ (Mittwochsausgabe) als „stringent“ und verfassungsrechtlich unproblematisch bewertete, bezeichnete der Heidelberger Staatsrechtler Bernd Grzeszick den neuen Vorschlag von SPD, Grünen und FDP als „Beleg dafür, dass der von der Ampel eingeschlagene Weg in die falsche Richtung führt“. In einem Änderungsantrag für die Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags, worüber das Parlament voraussichtlich am Freitag abstimmen wird, sehen die Ampel-Fraktionen den völligen Wegfall der Grundmandatsklausel vor.

Ein solcher Wegfall würde bedeuten, dass eine Partei, die bei ihrem bundesweiten Zweitstimmen-Ergebnis an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, auch nicht mit denjenigen Politikern im Bundestag vertreten wäre, die bei der Wahl einen Erststimmen-Sieg in ihren jeweiligen Wahlkreisen errungen haben. Eine solche Regelung würde nach derzeitiger Lage vor allem die Linke betreffen. Denkbar wäre aber auch, dass die CSU betroffen wäre, wenn sich ihr bundesweites Zweitstimmen-Ergebnis weiter verschlechtern würde und sie dann keinen ihrer derzeit rund 40 Direktmandatsträger in den Bundestag bringen könnte. Für „stringent“ hält den Wegfall der Grundmandatsklausel die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger. „Er passt zu der Logik der Reform, die den Übergang zum Verhältniswahlrecht gemäß den Zweitstimmenanteilen vollzieht“, sagte Schönberger der „Welt“ (Mittwochsausgabe). Bei einem solchen Übergang diene die Erststimme künftig allein dazu, „die Kandidatenplätze auf den Landeslisten der Parteien durch eine konkrete Personenwahl in den Wahlkreisen auszutarieren“. Dominant hingegen sei die Zweitstimme, so Schönberger. „Wenn aber mit diesem Übergang zum Verhältniswahlrecht die Stimmenanteile gemäß Zweitstimme den Ausschlag geben, kann es nicht sein, dass diese Zweitstimmenanteile dann doch wieder durch Direktmandate ausgehebelt werden.“ Dass eine von CSU und Linkspartei angekündigte Klage hiergegen in Karlsruhe Erfolg haben könnte, hält Schönberger für sehr unwahrscheinlich. „Das Bundesverfassungsgericht hat es zwar für grundsätzlich möglich erklärt, dass Direktmandate eine gewichtigere Rolle erhalten, aber das Gericht hat dies nicht für zwingend erforderlich erklärt. Daher sehe ich kein Problem darin, nun den anderen möglichen Weg zu gehen und die Zweitstimme als Hauptstimme zu betrachten, die allein über die Zahl der Abgeordneten entscheidet, mit denen eine Partei im Bundestag vertreten ist.“ Anders bewertet dies der Heidelberger Staatsrechtler Bernd Grzeszick.

Auch er bescheinigt den Ampel-Plänen die Stärkung der Zweitstimme gegenüber der Erststimme, hält dies aber für falsch und bewertet den Änderungsentwurf als Zuspitzung einer von vornherein verfehlten Tendenz. „Der gänzliche Wegfall der Grundmandatsklausel belegt die Problematik des Reformansatzes“, sagte Grzeszick der „Welt“. Er verweist auf die Debatten über den ersten Entwurf zur Wahlrechtsrefom im Februar. „In der Anhörung des Innenausschusses haben mehrere Sachverständige darauf hingewiesen, dass die von der Ampel betriebene Entwertung der Wahl in den Wahlkreisen unter anderem auch die Rechtfertigung der Grundmandatsklausel in der bisherigen Fassung unter Druck setzt. Die nun vorgeschlagene vollständige Streichung der Grundmandatsklausel ist ein weiterer Beleg dafür, dass der von der Ampel eingeschlagene Weg in die falsche Richtung führt.“




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