Obwohl sich Jugendliche in Deutschland etwa um einen möglichen Krieg oder eine denkbare Wirtschaftskrise Sorgen machen, blicken sie überwiegend optimistisch in die Zukunft. Das geht aus der diesjährigen Shell-Jugenstudie hervor, für die 2.509 junge Menschen der Jahrgänge 1998 bis 2012 befragt wurden. „Mehr Jugendliche als noch vor fünf Jahren blicken optimistisch in die Zukunft der Gesellschaft und das ist keine Realitätsverweigerung“, sagte Studienleiter Mathias Albert von der Universität Bielefeld bei der Vorstellung der Studie am Dienstag.
Die große Mehrheit der Jugendlichen steht positiv zu Staat und Gesellschaft und sieht für sich große Zukunftschancen. 75 Prozent sind mit der Demokratie eher oder sogar sehr zufrieden. Während die Demokratiezufriedenheit bei Jugendlichen im Westen mit 77 Prozent stabil ist, geht sie bei den Jugendlichen im Osten derzeit etwas zurück auf aktuell 60 Prozent. Vor allem das Vertrauen in die zentralen Institutionen der Bundesrepublik – vom Bundesverfassungsgericht über Bundeswehr bis zur Polizei und Europäischen Union – ist intakt und in den letzten 20 Jahren sogar kontinuierlich gewachsen.
Das für den deutschen Sozialstaat zentrale Leistungs- und Gerechtigkeitsversprechen sowie das Vertrauen in den Fortschritt sind aus Sicht der Jugendlichen weitestgehend intakt, obwohl Soziale Herkunft nach wie vor über Bildungsgänge entscheidet: Nur 27 Prozent der Jugendlichen, deren Eltern (höchstens) einen einfachen Schulabschluss haben, erreichen oder streben das Abitur an. Hat mindestens ein Elternteil Abitur, sind es 80 Prozent.
Etwa drei Viertel der Jugendlichen sind dennoch der Ansicht, dass Deutschland ihnen alle Möglichkeiten bietet, ihre Lebensziele zu verwirklichen. Trotz hoher Zuversicht, einen Arbeitsplatz zu finden, dominiert das Bedürfnis nach Sicherheit: Für 91 Prozent der Jugendlichen ist ein sicherer Arbeitsplatz (sehr) wichtig.
Zugleich machen sich die Jugendlichen viele Sorgen. „Sie machen sich Sorgen um die weltpolitische Lage, sie machen sich Sorgen um die wirtschaftliche Lage, sie machen sich Sorgen um den Klimawandel, um Ausländerfeindlichkeit“, erläuterte Studienleiter Mathias Albert. Dabei sei das Vertrauen in die Problemlösungen, die ihn von der Politik bereitgestellt werden, „nicht sonderlich hoch“.
Viele Jugendliche seien „wie auch ein großer Teil des Restes der Gesellschaft empfänglich für Populismus, viele Rücken weiter an die politischen Ränder, die Jungs deutlich mehr nach rechts als die Mädchen das tun“, sagte Albert. „Wir sehen eine verfestigung von segmenten an den politischen Rändern inklusive dem rechten Rand.“ Man sehe jedoch keinen breiten Polarisierungsdruck.
„Bei all diesen Entwicklungen ist ganz wichtig: Das Vertrauen in staatliche Institutionen, das Vertrauen ins politische System, die Zustimmung zur Demokratie, die bleibt extrem hoch bei den Jugendlichen“, erläuterte der Studienleiter.
Es sei eine breite Politisierung zu beobachten. „In der Gesamtheit, wenn ich alle zusammenzähle, kommt eine politische Positionierung der Jugendlichen leicht links von der Mitte heraus, und da hat sich auch nichts geändert“, so Albert. „Wir sehen deutliche Verschiebungen. Aber dass der Durchschnitt gleich bleibt, hängt damit zusammen, dass die Bewegung nach rechts oder eher rechts primär bei den männlichen Jugendlichen kompensiert wird dadurch dass ich mehr weibliche Jugendliche etwas mehr nach links bewegen.“
25 Prozent der männlichen Jugendlichen bezeichneten sich heute als eher rechts oder rechts. „Das sind deutlich mehr als die 16 Prozent noch vor fünf Jahren, aber es sind nicht mehr als diejenigen, die das vor zehn oder 15 Jahren gesagt haben.“ 51 Prozent der Mädchen ordnen sich heute als links oder eher links ein, nach 44 Prozent vor fünf Jahren.
Die Einstellungen zum Thema Migration haben sich kaum verändert. „38 Prozent der Jugendlichen finden, das genauso viele Zuwanderer in Deutschland aufgenommen werden sollten, wie bisher“, sagte Albert. „7 Prozent sagen, es sollten mehr sein, und 49 Prozent sagen, es sollten weniger sein.“ Weiterhin mache 34 Prozent der Jugendlichen die Zuwanderung nach Deutschland Angst. „Deutlich gestiegen, aber auf deutlich höherem Niveau, ist die Angst vor Ausländerfeindlichkeit. Sie ist gestiegen von 52 auf 58 Prozent“, sagte der Studienleiter. „Mithin sagen Jugendliche durchaus, dass sie Migration als ein grosses gesellschaftliches Problem anerkennen, aber noch viel mehr als Migration macht den Jugendlichen der Umgang mit dem Thema und alles, was damit zusammenhängt, Angst.“
Jugendliche in Deutschland sind der Studie zufolge weiterhin ganz überwiegend tolerant gegenüber anderen Lebensformen und sozialen Gruppen. Die abgefragte Toleranz gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Minderheiten zeigt Toleranzquoten von 80 bis 95 Prozent. Ablehnungswerte liegen unter 20 Prozent; etwa gegenüber syrischen (18 Prozent), türkischen (14 Prozent) oder homosexuellen (14 Prozent) Nachbarn.
Die grösste Angst der Jugendlichen ist die Angst vor allem Krieg in Europa. „Die Jugendlichen können die Weltpolitik, die so nah an ihn an sie herangerückt ist, nicht ignorieren. Eine übergrosse Mehrheit von jeweils von von zwei Dritteln spricht sie für eine starke Nato aus. Eine übergrosse Mehrheit von zwei Dritteln verurteilt den russischen Angriffskrieg“, so Albert. „Weniger deutlich, aber immer noch eine Mehrheit der Jugendlichen ist der Meinung, dass Deutschland die Ukraine auch militärisch unterstützen sollte. Hier ist etwa ein die Hälfte der Jugendlichen dafür, ein Viertel ist dagegen.“
Knapp ein Drittel der Jugendlichen findet es der Studie zufolge gut, dass sich Deutschland im Israel/Gaza-Konflikt eindeutig an die Seite Israels gestellt hat, genauso viele lehnen dies ab. Rund ein Viertel ist unentschieden.
Die Themen Klimawandel und Umweltverschmutzung machen weiterhin einer Mehrheit von zwei Dritteln der Jugendlichen Angst – weniger als bei der letzten Jugendstudie 2019. Insgesamt fühlen sich Jugendliche aus den neuen Bundesländern auch 35 Jahre nach dem Mauerfall nach wie vor verwundbarer und schlechter gestellt als die Gleichaltrigen im Westen.
Jeweils sehr deutlich über 90 Prozent der Mädchen und Jungen nennen als wichtigste Lebensziele „Gute Freunde haben, die einen anerkennen und akzeptieren“, „Einen Partner haben, dem man vertrauen kann“ oder „Ein gutes Familienleben führen“. Daran hat sich in den letzten 30 Jahren nichts geändert.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) verwies darauf, dass es gegenüber der Studie von vor fünf Jahren einen stärkeren Wunsch nach mehr Partnerschaftlichkeit gibt. „Junge Männer wollen zunehmend als künftige Väter in Teilzeit arbeiten“, erklärte sie. „30-Stunden-Woche eines Vaters statt Vollzeittätigkeit, dazu gibt es inzwischen doch breite Unterstützung.“ Über 40 Prozent der potenziellen Vätern wünschten sich dieses Modell, so die Grünen-Politikerin. „Wir wissen, die Realität ist noch eine andere, und deswegen ist da glaube ich Politik gut beraten, diesem Wunsch mehr Möglichkeiten zu bieten.“
Paus warb daher für die Einführung der sogenannten „Familienstartzeit“, einer zehntägigem Freistellung nach der Geburt für den Partner oder die Partnerin. Die EU hat bereits ein Verfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil eine entsprechende EU-Richtlinie von der Bundersregierung nicht rechtzeitig umgesetzt wurde.
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