„Die Aufklärung des Staatsversagens rund um den NSU ist seit dessen Selbstenttarnung durch Intransparenz und Widerwillen gekennzeichnet“, sagte die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstagausgaben). Die zuständige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) habe den Kampf gegen Rechtsextremismus kurz nach Amtsantritt zwar zu einem ihrer Schwerpunkte ausgerufen und bei den Betroffenen Hoffnungen geweckt, sagte Khan weiter: „Der eigene Anspruch und die Wirklichkeit gehen hier stark auseinander.“
Der Staat müsse sich endlich „seinen Verfehlungen stellen“. Eine weitere Legislaturperiode voller Verzögerungs- und Hinhaltetaktik sei den Opfern des NSU-Komplexes sowie den aktuell Betroffenen rechter Gewalt „unwürdig“. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hatte von 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet – neun Männer mit türkischen und griechischen Wurzeln und eine Polizistin aus Thüringen. Hinzu kamen mehrere Sprengstoffanschläge, bei denen Dutzende Menschen verletzt wurden.
Erst nachdem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Raubüberfall 2011 aufflogen und sich selbst erschossen, wurde der Zusammenhang der Taten klar. Ihre Mittäterin Beate Z. wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt. Noch immer aber sind viele Fragen offen. „Wir treiben auch innerhalb der Bundesregierung die weitere Aufarbeitung des NSU-Komplexes energisch voran“, hatte sich die Ampel-Regierung auch deshalb in ihrem Koalitionsvertrag Ende 2021 auf die Fahnen geschrieben.
Doch auch Fachleute sehen kaum Bewegung. „Es gibt noch immer gravierende Defizite bei der Aufarbeitung des NSU. Das ist gefährlich“, sagte der frühere NSU-Opferanwalt und heutige Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, der SZ. „Weil sich massive Fehler wiederholen können. Und weil in der Gesellschaft mehr Vertrauen zerstört als geschaffen wird, wenn selbst eine jahrelange Aufarbeitung ein Papiertiger bleibt.“ So sei die Rolle des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern noch immer unklar.
„Die Rolle von V-Leuten bei der Entstehung des NSU und ihr Wirken im engsten NSU-Unterstützerumfeld wurde in den Behörden nicht wirklich intensiv aufgearbeitet.“ Auch „Lösch- und Schredderaktionen“ von relevanten NSU-Akten seien nie transparent aufgeklärt worden, klagt Daimagüler. Die Verfassungsschutz-Behörden hätten inzwischen immer größere Bedeutung, aber die politische Kontrolle halte damit einfach nicht Schritt. Daimagüler ist selbst Mitglied einer im Mai eingesetzten BMI-Arbeitsgruppe zum NSU-Komplex.
Das BMI weist die Kritik zurück. Die „Verankerung der weiteren Aufarbeitung des NSU-Komplexes im Koalitionsvertrag“ und „daraus resultierend die Einsetzung einer entsprechenden Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) unterstreicht die herausragende Bedeutung weiterer Aufklärungsarbeit für die Bundesregierung“ teilte ein Sprecher mit.