Verfassungsrechtler bewerten geplanten Bürgerrat unterschiedlich

Die von der Ampel-Koalition geplante Einsetzung eines Bürgerrats stößt sowohl auf Kritik als auch auf Interesse von Verfassungsrechtlern.

Christoph Degenhart, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Leipzig, sagte der „Welt“ (Mittwochausgabe): „Der Vorschlag stellt das parlamentarische System infrage.“ Bürgerräte erweckten seiner Ansicht nach den Eindruck, „dass die Politiker es nicht können und sich daher Hilfe suchen müssen“, so Degenhart.

„Ein Bürgerrat schwächt die Demokratie, da die gewählten Abgeordneten sich der Verantwortung entziehen.“ Er ergänzte: „Der Bürgerrat ist eine scheindemokratische Veranstaltung. Die Abgeordneten selbst müssen das Vertrauen in die Demokratie durch ihr Handeln stärken: Näher am Bürger sein und Fragen behandeln, die für sie unmittelbar von Interesse sind.“ Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, würde das Format gerne ausprobieren. „Weil die Bürgerräte keine verbindlichen Entscheidungen treffen, gibt es kein rechtliches Problem. Das Parlament kann sich beraten lassen, von wem es will“, sagte er. „Wenn der Bürgerrat dabei hilft, dass die Politik besser versteht, was die Menschen umtreibt, wäre das ein Gewinn.“ Der Staatsrechtler hat allerdings große Vorbehalte, was die Umsetzung angeht. „Wenn das gerechte Instrument des Losens durch mehr oder weniger willkürliche Quoten eingeschränkt wird, kann es das Versprechen der gleichen Chance für alle nicht mehr einlösen“, sagte er. „Quoten greifen in die Freiheit und Allgemeinheit der Wahl und damit in Grundideen der Demokratie ein.“ Bei der Zusammensetzung der Zufallsauswahl von 160 in Deutschland lebenden Personen ab 16 Jahren soll eine „ausgewogene Beteiligung“ mit Blick auf die Kriterien Alter, Geschlecht, regionale Herkunft, Gemeindegröße und Bildungshintergrund erreicht werden. „Zudem soll der Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen an der Bevölkerung im Bürgerrat abgebildet werden“, heißt in dem Antrag zum Ernährungs-Bürgerrat, über den die „Welt“ berichtet.

Christine Landfried, emeritierte Professorin für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Hamburg, begrüßt das Vorhaben. „Ein Bürgerrat kann die Akzeptanz in die demokratischen Institutionen wieder stärken und verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen“, sagte sie. „Die gewählten Repräsentanten können politische Entscheidungen besser im Interesse des Gemeinwohls treffen, wenn sie sich mit den Argumenten der Bürger aus allen sozialen Schichten auseinandersetzen.“




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