Die Ökonomen vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) plädieren für eine Neuausrichtung der Krankenkassenfinanzierung. Demnach sollte das System so verändert werden, dass gesunde Versicherte für die Kassen wirtschaftlich deutlich reizvoller sein sollten als bisher. Möglich wäre das über eine Veränderung bei der Berechnung des Risikostrukturausgleichs (RSA), schreiben die Wissenschaftler in einem „Policy Brief“, über den die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet.
Der Risikostrukturausgleich wird grundsätzlich dazu genutzt, das Geld fair zwischen den einzelnen Krankenkassen zu verteilen – und dabei Faktoren wie Alter, Geschlecht, Wohnort oder Krankheitslast der Versicherten zu berücksichtigen. Bislang wird er jährlich berechnet. Die ZEW-Forscher fordern nun, die Berechnung stattdessen für einen Zeitraum von zehn Jahren durchzuführen. Dann nämlich hätten die Kassen ein finanzielles Interesse daran, ihre Versicherten lange gesund zu halten.
„Bislang denken viele Akteure im Gesundheitssystem sehr kurzfristig“, sagte ZEW-Präsident Achim Wambach. Die Krankenkassen hätten im derzeitigen System „finanziell wenig Interesse an Prävention“. Durch einen längeren Berechnungszeitraum, so die Wissenschaftler, wären nicht mehr nur kurzfristige Einsparungen, sondern auch langfristige Investitionen für die Kassen rentabel. Denn wenn Versicherte länger gesund blieben und damit über einen Zehn-Jahres-Zeitraum weniger Kosten verursachen würden, als über den RSA für sie berechnet wurde, bedeutete das für die Kassen einen finanziellen Vorteil. Nach dem alten System dagegen sind Vorsorgeprogramme vor allem ein Kostenfaktor, von dem die Kassen kurzfristig keinen Nutzen haben.
Die Wissenschaftler sehen darin auch einen Grund für die hohe Zahl an chronisch kranken Menschen in Deutschland: Das Gesundheitssystem sei auf die Behandlung von Krankheiten ausgelegt, nicht auf deren Prävention. Dem System fehle die langfristige Perspektive. Die Umsetzung des Vorschlags würde nach Meinung der Wissenschaftler keine Mehrkosten verursachen. Man habe sogar die Erwartung, dass das Modell finanzielle Vorteile bringen würde, sagte Wambach. Derzeit gebe es im deutschen Gesundheitssystem „viele Ineffizienzen“.