Eine Umfrage der „Welt am Sonntag“ unter allen 16 Landesbildungsministerien hat ergeben, dass mehrere Bundesländer zuletzt deutlich mehr Extremismusfälle an Schulen registrierten als in den Jahren zuvor. Doch weder bei der Erfassung noch beim Umgang gibt es einheitliche Richtlinien. Zwischen 2019 und 2022 meldeten etwa die sächsischen Schulen jeweils zwischen 50 und 90 solcher Vorfälle. Im vergangenen Jahr waren es 149. Gegenüber dem Vorjahr entspricht das einer Steigerung von rund 300 Prozent.
In Mecklenburg-Vorpommern berichten die Schulen im Schuljahr 2022/23 laut Bildungsministerium über 17 Vorfälle mit „extremistischem Hintergrund“. Im laufenden Schuljahr gab es allein bis Ende Januar 34 Meldungen. Ein neuer Höchstwert zeichnet sich auch in Sachsen-Anhalt ab. Nach 19 und 15 Meldungen in den Schuljahren 2021/22 und 2022/23 berichteten die Schulen im laufenden Schuljahr bis Ende Januar bereits über 22 „verfassungsfeindliche Vorfälle“. „Erfahrungsgemäß“ handele es sich dabei „nahezu ausschließlich um Taten mit rechtsextremem Hintergrund“, sagte eine Sprecherin des sachsen-anhaltischen Bildungsministeriums.
Baden-Württemberg erfasst an Schulen „antisemitisch und anderweitig religiös und ethnisch motivierte Diskriminierungen“. Die Zahl schwankte in den Schuljahren 2020/21 bis 2022/23 zwischen zwölf und 23. Im laufenden Schuljahr registrierten die Behörden bis zum 20. März bereits 35 Vorfälle dieser Kategorie. Von einem „spürbaren Anstieg“ berichtet auch Hessen. Als linksextremistisch stuften die Behörden in den vergangenen Jahren zwar lediglich bis zu zwei Vorfälle pro Jahr ein. Das Aufkommen rechtsextremistischer Vorfälle verdreifachte sich im Jahr 2023 dagegen gegenüber dem Vorjahr auf nunmehr 35 Meldungen. Im Jahr 2024 meldeten die Schulen in den ersten drei Monaten 39 rechtsextremistische Vorfälle.
Der Zuwachs erklärt sich laut Ministerium vor allem durch das vermehrte Zeigen des verbotenen Hitlergrußes, „meist im Zusammenhang mit Challenges in den sozialen Medien“. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe es auch vermehrt antisemitische oder islamistische Vorfälle gegeben. Laut Statistik waren es 2023 in der Kategorie „antisemitisch“ 17 Vorfälle, weitere 15 wurden als „islamistisch/pro Hamas“ eingestuft.
In Brandenburg hatte im April vergangenen Jahres ein Brandbrief zweier Lehrer für Aufsehen gesorgt. Die Pädagogen hatten darin auf diverse rechtsextreme Vorfälle an ihrer Schule im Ort Burg hingewiesen. Die Schulleitung habe diese aber weitgehend ignoriert. Angesichts der öffentlichen Debatte nach dem Brief war die Zahl der gemeldeten Vorfälle in die Höhe geschnellt. Das Land registrierte in der Folge für das gesamte Schuljahr 2022/23 rund 180 extremistische Vorfälle – eine Verdreifachung der Vorjahreszahl.
In Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein müssen extremistische Vorfälle den jeweiligen Bildungsministerien entweder nicht gemeldet werden oder die Vorfälle werden nicht statistisch ausgewertet. Bremen, Hamburg und Thüringen beließen die Anfrage der „Welt am Sonntag“ inhaltlich unbeantwortet.
Die saarländische Bildungsministerin und derzeitige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Christine Streichert-Clivot (SPD), sagte zum Anstieg der gemeldeten Extremismusvorfälle: „Wir beobachten in der KMK diese Entwicklungen natürlich mit Sorge.“ Sie sehe aber auch „viele positive Entwicklungen“. Schüler, Eltern und Lehrer gingen auf die Straße und setzten „Zeichen gegen Hass, Diskriminierung, Populismus, Antisemitismus und Extremismus“.
Eine Vereinheitlichung der Erfassung extremistischer Vorfälle an Schulen – wie sie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, gefordert hatte – halte die Kultusministerkonferenz aufgrund der unterschiedlichen Situationen in den einzelnen Bundesländern allerdings für „nicht unbedingt zielführend“.