Der Medizinische Dienst hat im Jahr 2023 bundesweit insgesamt 12.438 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. Die Zahl liege geringfügig unter dem Niveau der Vorjahre, teilte die Expertenorganisation am Donnerstag mit.
In jedem vierten Fall (3.160) wurde demnach ein Fehler mit Schaden bestätigt. In jedem fünften Fall (2.679) war der Fehler Ursache für den erlittenen Schaden – nur dann haben Patienten Aussicht auf Schadensersatz. Es handelt sich dabei grundsätzlich um vermeidbare Schadensfälle. In 151 Fällen lagen zudem sogenannte „Never Events“ vor, also Ereignisse, die durch Präventionsmaßnahmen sicher verhindert werden könnten. Darunter fallen folgenschwere Fehler wie Patienten-, Seiten- oder Medikamentenverwechslungen.
„Um solche Ereignisse zu verhindern, brauchen wir eine Meldepflicht“, sagte Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund. Die Zahlen zeigten zudem nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens. „Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt: Fachleute gehen davon aus, dass es in etwa einem Prozent aller stationären Behandlungen zu Fehlern und vermeidbaren Schäden kommt.“ Demnach seien jedes Jahr 168.000 Patienten davon betroffen. „Die Experten gehen von ca. 17.000 fehlerbedingten, vermeidbaren Todesfällen aus“, so Gronemeyer.
In der aktuellen Jahresstatistik bezogen sich zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe auf Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (8.177 Fälle). Ein Drittel bezog sich auf den ambulanten Bereich (4.233 Fälle). „Die meisten Vorwürfe beziehen sich auf operative Eingriffe“, sagte Christine Adolph, stellvertretende Vorstandsvorsitzende und leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern. „Da diese häufig im Krankenhaus erfolgen, werden sie dem stationären Sektor zugeordnet.“
29,5 Prozent der Vorwürfe (3.665 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie; 11,5 Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.426 Fälle); 9,3 Prozent die Zahnmedizin (1.156 Fälle) und jeweils neun Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.119 Fälle) sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.118 Fälle). 5,8 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf Pflege (726 Fälle). 26 Prozent entfielen auf 29 weitere Fachgebiete (3.228 Fälle).
In der Jahresstatistik 2023 sind 12.438 Verdachtsfälle zu insgesamt 994 verschiedenen Diagnosen erfasst. Die Vorwürfe betreffen fehlerhafte Behandlungen bei Hüft- und Kniegelenksverschleiß, Knochenbrüchen, Zahnwurzelbehandlungen, Druckgeschwüren und vieles andere mehr.
Bei knapp zwei Drittel (65,5 Prozent) der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden der Patienten vorübergehend − eine Intervention oder ein Krankenhausaufenthalt waren notwendig. Die Patienten sind jedoch vollständig genesen. Bei einem knappen Drittel der Betroffenen (29,7 Prozent) wurde ein Dauerschaden verursacht.
Ein leichter Dauerschaden kann eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe sein. Ein mittlerer Dauerschaden kann eine chronische Schmerzsymptomatik, eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion sein. Ein schwerer Dauerschaden liegt vor, wenn Geschädigte pflegebedürftig geworden sind oder sie aufgrund eines Fehlers erblinden oder dauerhafte Lähmungen erleiden. In 2,8 Prozent der vom Medizinischen Dienst begutachteten Fälle (75 Fälle) hat ein Fehler sogar zum Tod geführt.