Führende Köpfe aus Energiewirtschaft und Wissenschaft treten der verbreiteten Darstellung entgegen, dass hohe Stromkosten die Industriekonjunktur in Deutschland entscheidend bremsen würden. „Die Preise sind doch schon längst wieder auf dem Niveau von vor der Krise“, sagte Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), dem „Spiegel“.
„Die Wirtschaftsverbände tun sich keinen Gefallen, die ganze Zeit über die angeblich hohen Energiepreise zu schimpfen.“ Sie redeten damit nur den Standort schlecht, so Wolff. „Wirtschaft ist zu mindestens 50 Prozent Psychologie.“
Kleine bis mittlere industrielle Abnehmer müssen bei neuen Stromverträgen nach Angaben des BDEW im Schnitt 17,65 Cent je Kilowattstunde (kWh) zahlen, was dem Niveau der Jahre 2017 bis 2020 entspricht. Das ist auf den gesunkenen Gaspreis und den steigenden Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung zurückzuführen; zudem hat der Staat die EEG-Umlage abgeschafft und die Stromsteuer für produzierende Betriebe gesenkt.
„Das Grundlamento, dass die Energiekosten zum immer größeren Standortnachteil würden, kann ich in der Breite nicht nachvollziehen“, sagte Lion Hirth, Professor der Hertie School in Berlin, dem „Spiegel“. Für etwa 340 besonders energieintensive Betriebe in Deutschland hat die Bundesregierung kürzlich die Strompreiskompensation verlängert. Diese Subvention gleicht aus, dass der Emissionshandel in der EU Gas- und Kohlestrom verteuert.
In diesem Jahr mache die Kompensation die Kilowattstunde um etwa vier Cent billiger, sagte Marco Wünsch, Energieexperte der Beratungsfirma Prognos, dem „Spiegel“. Bei Großhandelspreisen von 5,5 Cent und Nebenkosten von 1,5 Cent je kWh müssten energieintensive Betriebe nur noch „sehr niedrige“ drei Cent je kWh bezahlen, so Wünsch.
BDEW-Präsidentin Wolff prognostiziert, dass die Strompreise weiter sinken werden. „Deutschland liegt sowohl im europäischen als auch im weltweiten Vergleich bei den Strompreisen im Mittelfeld“, sagte die Vorstandsvorsitzende des Darmstädter Energieversorgers Entega. Die Bundesrepublik sei zwar kein Billigenergieland, liege dafür allerdings bei Patenten an zweiter Stelle hinter den USA. „Die Stärken des deutschen Standortes liegen doch ganz woanders“, so Wolff.