Nach Brandbrief: Viel Unterstützung und eine Klarstellung

Nach dem „Brandbrief“ von Friedrichsthals Bürgermeister Christian Jung an Bundeskanzler Olaf Scholz herrscht helle Aufregung im kleinen Saarland. Der Bürgermeister erhält breite Unterstützung aus unterschiedlichsten Bereichen für seinen Vorstoß, dennoch möchte das Stadtoberhaupt etwas klarstellen.

Das Echo war gewaltig: Nach der deutlichen Kritik am Flüchtlingsmanagement durch Friedrichsthals Bürgermeister Christian Jung findet sich sehr viel positive Resonanz – einzig Parteikollegen schweigen – oder üben Kritik.

Breite inhaltliche Zustimmung findet sich im Friedrichsthaler Stadtrat: Regio-Journal befragte die Fraktionsvorsitzenden zum Brandbrief, dessen Erstellung zuvor im Stadtrat einstimmig beschlossen wurde.

So sagt der Linke Fraktionsvorsitzende im Friedrichsthaler Stadtrat und im Regionalverband Saarbrücken, Jürgen Trenz: „Ich bin es leid, dass jeder, der die vorhandenen Probleme offen anspricht, diffamiert und in bestimmte Ecken gedrängt wird. Ich unterschreibe jedes Wort dieses Brandbriefes und stehe zu den Aussagen, die der Bürgermeister getätigt hat.“ Und weiter: „Der Diffamierungsversuch des SZ-Redakteurs, Bürgermeister Jung mit Rassismus in Verbindung zu bringen, ist an Unverschämtheit nicht zu überbieten.“

Jörn Walter, Parteikollege und SPD-Fraktionsvorsitzender in Friedrichsthal ergänzt: „Unser Bürgermeister spricht das aus, was ein Großteil der Bevölkerung denkt. Wir diffamieren keine Flüchtlinge, sondern legen den Finger in die Wunde, die ein größerer Teil der Landes- und Bundespolitiker nicht sehen möchte. Kleine Kommunen werden seit Jahren mit immer höheren Kosten in nahezu sämtlichen Bereichen belegt, die Verwaltungen werden in Folge dessen dazu getrieben, Steuerabgaben zu erhöhen oder Einsparungen vorzunehmen. Die Situation bei der Unterbringung der Geflüchteten Menschen verschlimmert dieses Problem weiter. Es ist richtig, dass die Situation endlich angesprochen wird und es ist unsäglich, dass sich kaum ein Verwaltungschef traut, derart offen Kritik am Vorgehen der Bundesregierung sowie der CDU-geführten Vorgängerregierung zu üben. Dass wir zu den den Ausführungen von Bürgermeister Jung stehen und diese mittragen, ist selbstverständlich.“

Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Daniel Jung stimmt dem Brandbrief inhaltlich zu: „Der von Herrn Bürgermeister Christian Jung konkret verfasste „Brandbrief“ ist uns als CDU-Fraktion bislang aus eigener Anschauung unbekannt gewesen. Nach vollständiger Lesung kann ich nur sagen, dass in der Sache selbst die Kritik des Bürgermeisters an den Verantwortlichen im Bund und der Ruf nach Hilfe für die Kommunen aus unserer Sicht berechtigt ist und der einhelligen Meinung aller Parteien im Stadtrat entsprach.“

Der CDU-Fraktionsvorsitzende stellt die verwendeten Worte wie „Am Arsch vorbei“ gegenüber dem Kanzler in Frage und möchte die Diskussion lieber auf die Sache selbst konzentrieren: „Migration und Zuzug und die damit verbundenen Probleme und Kosten müssen – auch für unsere Kommune – klar und sachlich gegenüber Bund und Land platziert werden“. Außerdem fordert Jung eine Kostenaufstellung sowie die Begleichung der entstehenden Kosten durch Land oder Bund.

Ähnlich äußerte sich die Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag und Friedrichsthaler Bürgerin Anja Wagner-Scheid: „Die Kommunen im Saarland stehen bezüglich der Unterbringung geflüchteter Menschen mit dem Rücken an der Wand: personell, organisatorisch und finanziell. In meiner Heimatstadt Friedrichsthal ist die größte Sporthalle seit Juli 2022 durchgehend mit Flüchtlingen belegt, da es keinen privaten Wohnraum mehr gibt. Ich begrüße den Brief von Bürgermeister Jung in der Sache, da er die schwierige Situation benennt.“

Wagner-Scheid unterstützt den Vorschlag aus der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, eine Trennung von Asylmigration und Erwerbsmigration in zwei Behörden vorzunehmen. „Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung von Menschen nach Deutschland.“

Pascal Arweiler, der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion wollte sich auf Regio-Journal-Nachfrage nicht äußern.

Auch die Regio-Journal-Anfrage im Innenministerium bei SPD-Innenminister Reinhold Jost blieb nach mehreren Tagen unbeantwortet. Stattdessen äußerte sich der Saarländische Innenminister gegenüber der Saarbrücker Zeitung. Weshalb uns eine Stellungnahme verwehrt blieb, ist unklar.

„Ich denke, Bürgermeister Jung würde das nicht mehr so schreiben, der Tonfall schadet dem Ansinnen der kommunalen Seite und vermutlich auch dem persönlichen Ansehen des Absenders“, so Jost, um dann in weiteren Sätzen das inhaltlich gleiche zu fordern, wie Bürgermeister Jung aus Friedrichsthal: Weitere finanzielle Absicherung zu Gunsten der Kommunen.

Bürgermeister weist Formulierung zurück

Im Regio-Journal Gespräch weist Friedrichsthals Bürgermeister die einhellige Meinung, er habe sich mit „Schimpfworten“ an den Bundeskanzler gerichtet zurück: „Selbstverständlich habe ich in meinem Schreiben an den Bundeskanzler keine Formulierungen wie „Am Arsch vorbei“ oder „Interessiert einen Scheissdreck“ verwendet“. 

Tatsächlich: Im uns vorliegenden Brandbrief finden sich in keiner Zeile die von der Saarbrücker Zeitung schlagzeilenträchtig verwendeten Worte.

Auf die Frage: Wie die Zeitung auf diese Worte kommt erklärt Jung: „Ich habe diese zugegebenermaßen flapsige Aussage im Kontext des Gespräches mit der Saarbrücker Zeitung getätigt. Dass dieser Spruch nun inhaltlich zu einer solchen Verwendung kommt, ist durchaus abenteuerlich.“

Jung wirkt dabei sichtlich enttäuscht, dass nun ein aus dem Kontext gerissener Satz genutzt wird, um das Thema zu pushen.

Dass man ihm auch noch offen Rassismus unterstelle, ärgert ihn: „Ich verwahre mich gegen jeden Vorwurf, fremdenfeindliche Ressentiments zu vertreten oder zu schüren. Es geht mir um die Sache.“

Außerdem wünsche er sich, dass dieses Thema nicht ständig weiter „aufgeblasen“ werde: „Ich wollte mit dem Brief aufrütteln, sodass sich zeitnah eine für alle Kommunen dienliche Lösung für die ernsthaften Probleme findet“.

Weiterhin, so Jung, „wünsche ich mir, dass wir unsere knappe Zeit dafür verwenden können, worauf es wirklich ankommt. Aktuell werden unsere Kräfte durch diese Diskussionen gebunden, die andernorts sinnvoller eingesetzt werden könnten“.

Unterstützung findet der Friedrichsthaler Bürgermeister auch bei der FDP. Die Fraktionsvorsitzende aus Friedrichsthal, Nadine Klein erklärt im Regio-Journal-Gespräch, dass sie „inhaltlich voll und ganz hinter diesem Brandbrief“ stehe. „Er ist so gesehen, ein Hilferuf. Wie lange soll die derzeitige Situation noch anhalten? Es ist sicherlich für alle Seiten unbefriedigend zu sehen, dass nichts geschieht. Flüchtlinge auf Dauer in einer großen Sporthalle unterzubringen ist keine Lösung, weder menschlich gesehen, noch aus Kostensicht“, so Klein.

„Allein die Kosten für den Sicherheitsdienst belasten den städtischen Haushalt massiv und wir erhoffen uns durch diesen Brief eine Unterstützung und konkrete Lösungsvorschläge“.

Klein spricht auch die Folgen für die eigenen Bürger an: „Friedrichsthaler Schülerinnen und Schüler müssen für den Sportunterricht in eine Sporthalle nach Herrensohr fahren, das ist doch keine dauerhafte Lösung!“.

Auch die AfD äußerte sich gegenüber der Saarbrücker Zeitung positiv. Mit dem Inhalt stimme man „auf jeden Fall“ überein, Die Zustände seien für alle Seiten untragbar – für die Flüchtlinge, aber auch für Stadt, Vereine und Schüler, so Fraktionsvorsitzender Gerd Schon gegenüber der Saarbrücker Zeitung.

Kritik kommt einzig aus den Reihen der Grünen. Diese distanzierten sich von dem Brandbrief, zu dessen Erstellung sie zuvor keine Einwände hatten. Man teile zwar das Anliegen, dass Kommunen wirksam entlastet würden, aber man widerspreche der „irreführenden Aussage“, dass dieser Brief in „Art und Weise“ im Auftrag aller Fraktionen formuliert sei. 

„Wir distanzieren uns vielmehr von Formulierungen, die geeignet sind, pauschal Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Über weite Strecken ist der Brief leider von eben solchen Formulierungen geprägt.“

Man wünsche sich den Beginn einer sachlichen Diskussion, wie die vorhandenen Probleme gelöst werden könnten.

In der Stadtratssitzung am 15.02.2023 wurde der Bürgermeister mit dem Brandbrief durch alle Fraktionen ohne Gegenstimme beauftragt. Wortwahl und Empfänger wurden nicht definiert. Die Inhalte des Briefes entsprachen denen, über die im Rat diskutiert wurde.

Bürgermeister Jung gab im Regio-Journal-Gespräch an, dass im Anschluss keine direkte Abstimmung mehr mit den Ratsmitgliedern erfolgte.

Viel Zuspruch aus Bevölkerung – und verdeckt aus der Politik

Die Bevölkerung steht, geht es nach den Kommentaren in den sozialen Medien, zu großen Teilen hinter dem Friedrichsthaler Bürgermeister. Viele Kommentare zeigen Unverständnis darüber, dass der Bürgermeister aus bestimmten politischen Bereichen angefeindet würde. 

Bemerkenswert ist, dass wir in Gesprächen mit Verwaltungsangestellten und Bürgermeistern aus unterschiedlichsten Kommunen – unabhängig einer Parteizugehörigkeit ausschließlich positive Worte für diesen Brandbrief hören durften. Umso interessanter ist, dass diese Worte nicht öffentlich ausgesprochen werden wollen.

Offenkundig brodelt es unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit mehr, als man öffentlich zugeben möchte.

Das Ziel nicht aus dem Blick verlieren

Dennoch: Die Diskussion über die Wortwahl in dem Brief lenkt in weiten Teilen von der tatsächlichen Problematik ab, auf die der Bürgermeister verweist. Die Kommunen stehen finanziell bundesweit oftmals vor extremen Herausforderungen, die von der Bundespolitik derzeit nicht ausreichend beachtet werden.

Diese Forderung ist nicht neu, sondern durch den Saarländischen Städte- und Gemeindetag, den Deutschen Städte- und Gemeindebund, bundesweite Aussagen von Politikern, Landräten und Bürgermeistern belegt. 

Hierzu folgte beispielsweise eine Berichterstattung aus der FAZ vom 07.03.2023, aus der Hervorgeht, dass Kommunalverbände vor Überlastung bei der Unterbringung von Geflüchteten warnen.

Vielleicht lohnt auch ein Blick in andere Länder: In Dänemark hofft man beispielsweise auf ein System, welches der Flüchtlingskonvention entspricht, „nämlich denen Schutz zu gewähren, die ihn wirklich brauchen„. Dort wird übrigens Kritik am Vorgehen der Bundesregierung laut. Ob man nun deswegen den Dänischen Sozialdemokraten „Rassismus“ vorwerfen würde? Oder auch in Österreich wird derzeit auf eine Anpassung der Asylverfahren beraten. Von den Plänen über die Neuplanung der Flüchtlingspolitik wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden.

Bei all diesen Vorhaben geht es im Kern darum, eine Überlastung der eigenen Systeme zu vermeiden. In Deutschland befindet man sich offenkundig bereits an der Grenze.

Es wäre also durchaus an der Zeit, die benannten Probleme nicht als „Stimmungsmache“ abzustempeln, sondern ernsthaft mit Vorschlägen zur Lösung der Probleme zur Seite zu stehen.



Bildquellen

  • Rathaus Friedrichsthal: Regio-Journal

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