Kommentar: Der Rechtsstaat muss seine Zähne zeigen

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie endet jedoch da, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird. Nach den Bedrohungen gegen Politiker muss der Rechtsstaat jetzt reagieren. Ein Kommentar.

Die Corona-Krise auf der Welt hat den Ton rauer werden lassen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Doch es entwickelt sich im Schatten dieser Krise ein Phänomen, welches vom Rechtsstaat, aber auch von unserer Gesellschaft nicht geduldet werden darf.

Eine hochbrisante Mischung aus frustrierten Menschen, die, entschuldigen Sie bitte meine Wortwahl, „die Schnauze von Corona vollhaben“, unter die sich bekennende rechtsradikale und staatsleugnende Reichsbürger mischen ziehen durch Straßen. 

Wilde Parolen grölend, von „Widerstand“ schreiend bis „Wir sind das Volk“, hallen durch die Straßen und nicht selten werden „Köpfe“ von Politikern gefordert. 

Dass nun fast schon scheinheilig schockiert über die Mordfantasien gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in Telegram-Gruppen berichtet wird, macht mich fassungslos.

Die Themen sind seit Jahren bekannt

Diese Thematik ist nicht neu. Ich möchte gar nicht alle politischen Attentate der letzten Jahrhunderte auflisten, aber an einige doch erinnern: Rudi Dutschke, ein marxistischer Studentenführer wurde 1968 von Josef Bachmann, einem rechtsextremen angegriffen und schwer verletzt und verstarb später an den Folgen des Angriffs.

Siegfriede Buback, ein deutscher Generalbundesanwalt wurde 1977 von RAF-Terroristen erschossen, genau wie im selben Jahr Jürgen Ponto als Vorstandssprecher der Deutschen Bank und Hanns Martin Schleyer (beide von RAF-Terroristen). In den 80er Jahren wurde FDP-Politiker Heinz-Herbert Karry erschossen, vermutlich von „Revolutionsären Zellen“ sowie zahlreiche weitere RAF-Morde.

In den 90er Jahren war es dann Oskar Lafontaine, die durch eine psychisch gestörte Frau angegriffen wurde, Wolfgang Schäuble von einem schizophrenen Mann. In den 2000ern wurde Frankreichs Präsident Jacques Chirac von einem Rechtsradikalen attackiert, genauso Silvio Berlusconi. Nicht zu vergessen die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die durch einen Messerangriff schwer verletzt wurde. Andreas Hollstein, CDU-Bürgermeister von Altena wurde von einem Rassisten mit einem Messer am Hals verletzt, Walter Lübcke wurde mit einem Kopfschuss, vermutlich von einem rechtsradikalen, ermordet, genau wie in diesem Jahr der niederländische Journalist Peter de Vries. 

Zahlreiche Medienberichte ergänzen diese Anschläge durch weitere Vorfälle. Um einige zu nennen: In Tröglitz trat der Bürgermeister nach einer Serie von Drohungen und Einschüchterungen zurück. Dort marschierte bereits 2015 die NPD vor seinem Haus auf, nachdem er Flüchtlinge integrieren wollte. In Oersdorf in Schleswig-Holstein wurde der Bürgermeister 2016 mit einem Knüppel bewusstlos geschlagen – es ging ebenfalls um die Unterbringung von Flüchtlingen, aus welcher Ecke dieser bis heute ungeklärte Angriff kam, kann sich jeder an einer Hand abzählen.

Online-Pranger und Todeslisten

Und auch heute existieren im Internet und Darknet, aber auch in Telegram-Chatgruppen Todeslisten und Online-Pranger, an die Politikerinnen und öffentliche Mandatsträger gestellt werden. 

Seit Jahren ermittelt das Bundeskriminalamt gegen die Personen, wenn Strafen ausgesprochen werden, fallen diese zumeist harmlos aus.

Es braucht hier eine harte Haltung und Antwort. Wie pervers diese Menschen vorgehen zeigen die Spaziergänge im Osten unseres Landes: Kinder werden in die forderste Reihe gestellt, damit die Polizei nicht gegen den Mob vorgehen kann. Kinder als Schutzschild zu verwenden, ist das niederträchtigste, was es gibt. Auch hier muss der Staat antworten: Und wenn es ein Jugendamtverfahren wegen Kindeswohlgefährdung ist. Dann muss halt geprüft werden, ob diese Eltern fähig sind, ihr Kind richtig zu erziehen.

Erstmals richtig Bewegung

Nach den Morddrohungen gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer kam endlich Bewegung in die Ermittlungsmaschinerie. Eine Woche nach Ausstrahlung des ZDF-Videobeitrags fand eine Großrazzia mit 140 Beamten statt. Mehrere Objekte wurden durchsucht, im Fokus standen fünf Männer und eine Frau. Es geht offenbar um die Planung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Es wäre an der Zeit, dass der Rechtsstaat jetzt seine Klauen ausfährt. Es bedarf einer Strafe, die eine derart abschreckende Wirkung hat, dass den Tätern Hören und Sehen vergeht! Und im Anschluss muss der Rechtsstaat jegliche weiteren Aktivitäten mit aller zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln unterbinden. Und wenn Telegram ein Sündenpfühl der Unkontrollierbarkeit bleibt, muss er halt aus Deutschland verschwinden.

Hass nicht nur gegen Politiker

Mittlerweile richtet sich der Hass nicht nur gegen Politiker. Oftmals stehen auch deren Familien im Fokus. Dies berichtet ganz aktuell auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans. So soll seine Familie bedroht worden sein, der Staatsschutz sei eingeschaltet. Ursprung der Attacke soll eine Meldung des russischen Auslandsfernsehens RT Deutsch sein. Dort wurden offenbar zusammenhangslose Zitate verbreitet. 

Der Staat muss aufrüsten

Und dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Denn nicht der Staat hat z.B. zuletzt beim Mordaufruf gegen Michael Kretschmer Ermittlungen eingeleitet. Es war ein Journalistenteam des ZDF. Erst danach wurde der Staat aktiv. Dies zeigt, wie schwach unser Land im digitalen Bereich aufgestellt ist. Es braucht eine massive Aufrüstung des Inlandgeheimdienstes, der diese dubiosen Kanäle durchforstet. Dabei darf es nicht um die Überwachung von „Lieschen Müller“ gehen, sondern um ganz klare Wortpartikel, die sich durch künstliche Intelligenz klar verfolgen lassen. 

Sicherheitsunternehmen auf aller Welt bietet diese Expertise an – zur Not muss man sie halt einkaufen.

Es braucht eine Antwort – und Solidarität

Kritik an der Arbeit von Politikern ist erlaubt. Sie ist nötig und richtig. Morddrohungen hingegen sind in jedweder Weise indiskutabel. Hier braucht es Solidarität in unserer Gesellschaft mit betroffenen Politikern.

Es braucht eine neue Debattenkultur, die von Respekt geprägt ist, auch wenn man nicht der Meinung des gegenüber zustimmt. Diese Verrohung und Gewalt muss ein Ende haben.

Kolumnenhinweis

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Kolumne des genannten Autors. Bei, in der der Redakteur seine Meinung äußert. Diese muss nicht mit der des Verlages übereinstimmen.



Bildquellen

  • Weniger Hass: Regio-Journal

Das könnte Ihnen auch gefallen:

Werbung

Nach oben scrollen